Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
Sie dem Jungen einen guten, kräftigen Stock und lassen Sie ihn machen, was er will.«
»Sei nicht albern, Emerson«, versetzte ich.
Auf Cyrus’ Vorschlag hin speisten wir zwanglos im Schloss. Bertie freute sich, uns zu sehen, und war hellauf begeistert, als er von einer möglichen Rückkehr an unsere gemeinsame Exkavationsstätte erfuhr. Ich untersuchte seinen Knöchel; er sah schon viel besser aus; die Schwellung war zurückgegangen, bis auf einen kleinen Bluterguss. Alle schrieben das Kadijas wundersamer Heilsalbe zu, und das mochte auch zutreffen, obschon ich mich gelegentlich fragte, ob ihre Wirkung nicht mit der mentalen Einstellung des Patienten zusammenhing.
Nach dem Abendessen hinkte der junge Mann, gemeinsam mit den anderen, in die Bibliothek. Ich blieb mit Katherine zurück, um auch die letzten Zweifel auszuräumen.
»Ich habe ein hübsches kleines, schattiges Plätzchen eingerichtet, wo Bertie sich ausruhen kann, und wenn er tatsächlich an anderer Stelle arbeiten muss, werden wir dafür sorgen, dass er sich nicht überanstrengt. Jumana wird sich persönlich um ihn kümmern.«
Letzteres war vielleicht nicht das, was Katherine hören wollte. Nach meiner Einschätzung waren ihre Bedenken hinsichtlich einer ernsthaften Beziehung genauso grundlos wie voreingenommen. Bertie interessierte sich zwar für das Mädchen, doch sie schien seine Gefühle nicht zu erwidern; sie behandelte ihn eher wie ein begriffsstutziges Kind. Ich hielt Katherine einen kleinen Vortrag zu diesem Thema und setzte hinzu: »Letztlich, Katherine, gibt es nichts Destruktiveres für die Romantik als ständige Nähe.«
Katherine spitzte die Lippen. »Bei Ramses und Nefret hat dies auch nicht funktioniert.«
»Das ist ein Ausnahmefall. Bedenken Sie meine Worte, die gemeinsame Arbeit wird Bertie und Jumana noch früh genug auseinander bringen.«
Ich hatte ein wenig übertrieben, aber im Verlauf der nächsten Tage wurde Bertie zunehmend ungeduldiger mit Jumana. Typisch Mann, wollte er sie mit seinem Fachwissen beeindrucken; typisch Jumana, nutzte sie seine vorübergehende Behinderung, um ihn zu bemuttern. Indem wir seinen Stuhl und seinen Tisch an den entsprechenden Punkten des Geländes aufstellten, ermöglichten wir ihm, an der Dokumentation mitzuwirken, eine Aufgabe, in der er geschult war, gleichwohl verbrachte er einen Großteil der Zeit damit, untätig herumzusitzen. Zu beobachten, wie Jumana herumwirbelte, mühelos die Abhänge hochkletterte und wieder hinuntersprang, um ihn in den Schatten zu stellen, strapazierte sein Nervenkostüm gewaltig. Einzig sein ausgeglichenes Naturell und seine hervorragenden Manieren verhinderten einen Temperamentsausbruch.
Ein leicht beunruhigender Vorfall zeichnete die produktive Arbeitseuphorie der nächsten Tage. Es hatte nichts mit Jamil zu tun, obwohl sich der werte Leser sicher denken kann, dass ich ihn nicht vergessen hatte. Ich nahm nicht an, dass Jumana von ihm gehört hatte, denn ich ließ sie keine Sekunde aus den Augen, aber dass er sie so völlig mied, beunruhigte mich allmählich. Er brauchte Geld, und wenn auch nur für das nackte Überleben. Woher bekam er welches?
Wenn es von Freunden und Verwandten in Gurneh stammte, so würde dies keiner von ihnen zugeben. Selims Nachforschungen prallten auf eine Mauer des Schweigens.
»Einige sagen die Wahrheit, denke ich«, hatte er berichtet. »Aber anderen lähmt es die Zunge. Es ist genau wie früher, als der Meister den illegalen Antiquitätenhandel kontrollierte und alle Männer seinen Zorn fürchteten.«
»Könnte das sein?«, erkundigte Emerson sich bei mir, nachdem Selim seiner Wege gegangen war.
»Unmöglich, Emerson.«
»Wieso? Wir haben seit Wochen nichts mehr gehört von dem … von ihm. Verflucht, wir wissen nicht einmal, wo er sich aufhält.«
»Er würde niemals in unsere Arbeit eingreifen oder einen miesen Burschen wie Jamil tolerieren.«
Wir hatten nur selten Besucher. Allerdings, als ich eines Morgens eine verfallene Kapelle auf der Anhöhe inspizierte – und Cyrus’ bei seiner Skizzierung der Grabanlage half, wie ich Emerson erklärt hatte –, sah ich zwei herannahende Reiter. Beide trugen das triste Oliv der Militäruniformen. Ich kletterte hastig den Abhang hinunter, in der Hoffnung, sie abzulenken, bevor sie auf Emerson stießen.
Ich war zu langsam oder Emerson zu schnell. Als ich sie erreichte, hatten die beiden Männer bereits abgesessen und bemühten sich, ein höfliches Gespräch mit meinem Gatten in Gang
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