Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
eigentlichen Grüften befanden sich unter der Erde, ihre Lage dokumentiert von niedrigen, rechteckigen Monumenten aus Felsgeröll oder Ziegeln, mit aufrecht stehenden Steinen an Kopf- und Fußende. Das Grab eines Heiligen oder eines bedeutenden Scheichs wäre von ähnlich einfacher Struktur gewesen und von einer kleinen Kuppel gekrönt. Auf diesem kleinen Friedhof waren davon nur wenige zu finden; Abdullahs Grab fiel sogleich ins Auge – wegen der frisch behauenen Steine und der irgendwie ungewöhnlichen Formgebung. Es war das konventionelle, vierseitige Monument, dennoch lag in den Proportionen eine gewisse Anmut, sodass man meinte, die Kuppel schwebe schwerelos über dem Ganzen.
Die Sonne sank bereits. Das rosige Licht erwärmte den weißen Kalksandstein der Wände, und von einer Moschee in einem der Nachbardörfer drangen die ersten melodisch-getragenen Rufe zum Abendgebet.
»Es wird bald dunkel.« Ramses sprach das erste Mal, seit wir das Haus verlassen hatten. »Wir können nicht lange bleiben.«
»Nein, ich will nur eben –«
Ich stockte, schnappte nach Luft. Es war schon irgendwie unheimlich, an diesem einsamen Ort Bewegungen zu bemerken, und die Silhouette, die im Schatten der Kuppel sichtbar wurde, war die eines Menschen. Wir waren noch ein ganzes Stück von der Grabstätte entfernt; ich konnte keine Details ausmachen, nur die lange Galabiya und den weißen Turban, bevor die Gestalt hinter den Mauern der Moschee verschwand.
»Wer war das?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Hast du eine Taschenlampe mitgenommen?«
»Natürlich. Ich habe meine sämtlichen Utensilien dabei. Sollen wir ihm folgen?«
»Das war nicht Jamil. Ich sehe keinen Grund, den Burschen zu verfolgen. Lass uns nur sicherstellen, dass er keinen Schaden angerichtet hat.«
Der aufgewühlte Sand war der einzige Hinweis, dass außer uns noch jemand hier gewesen war. »Da sind eine Reihe von Fußspuren«, murmelte Ramses, den Boden mit der Taschenlampe ausleuchtend. »Sie überschneiden sich. Ist ja merkwürdig.«
»Vielleicht waren Verwandte hier, um ihm die letzte Ehre zu erweisen oder um zu beten«, überlegte ich.
»Mag sein. Bist du bereit zum Aufbruch?«
Ich hatte vorgehabt, ein paar Worte zu sagen – mental natürlich –, aber er fühlte sich ganz offensichtlich unwohl, und was hätte ich noch anbringen sollen, nachdem ich vor kurzem eine lange Unterredung mit Abdullah geführt hatte? Ich schwieg, und Ramses fasste meinen Arm, da es zunehmend dunkler wurde.
»Mir gefällt das Grab«, sagte Ramses, als wir uns mit Hilfe der Taschenlampe durch die Grabreihen schlängelten. »Ich hoffe, Abdullah ist zufrieden.«
»Oh, ja. Er war nur ärgerlich, weil er darum bitten musste. Er meinte, ich hätte von mir aus darauf kommen müssen.«
»Ah«, sagte Ramses verständnislos.
Am Donnerstag waren wir mitten in unseren Vorbereitungen für den Aufbruch – phasenweise kompliziert durch Sennia und die Große Katze des Re –, als ein Bote auftauchte. Jumana war nach Deir el-Medina aufgebrochen, Ramses erklärte der Katze, dass sie ihn besser nicht begleiten solle, ich setzte mich mit den üblichen Verzögerungstaktiken von Sennia auseinander, und Emerson trieb uns – nervös auf- und abstapfend – zur Eile an. Er nahm die Notiz von Fatima entgegen.
»Nun, was haltet ihr davon?«, erkundigte er sich. »Yusuf möchte uns sehen.«
»Uns?«, wiederholte ich. »Wen? Sennia, hol deine Bücher und geh.«
»Dich und mich. Er sagt, es ist dringend. Ich frage mich, wer das für ihn geschrieben hat?«
Ramses beendete seine Unterredung mit der Katze und setzte sie auf den Boden. »Ein öffentlicher Briefschreiber, vielleicht. Sollen Nefret und ich mitkommen?«
Emerson kratzte sich sein Kinngrübchen. »Nein, er schreibt, wir sollen allein kommen. Geht schon vor, wir kommen bald nach.«
»Es sei denn, wir erfahren von einer interessanten Entwicklung«, meinte ich einschränkend.
»Irgendwas mit Jamil, vielleicht«, sagte Nefret. »Meinst du, Yusuf weiß, wo er sich versteckt hält?«
»Wir wollen es hoffen. Es wäre eine Erleichterung, wenn die Sache endlich hinter uns läge. Ich hätte Yusuf schon viel eher bedrängen sollen«, räumte ich ein.
»Setz dem armen alten Burschen nicht unnötig zu«, sagte Nefret. »Er muss entsetzlich gelitten haben, hin und her gerissen zwischen der Liebe zu seinem Sohn und seiner Loyalität zu euch.«
»Es könnte ein weiterer Trick sein«, gab Ramses zu bedenken. »Erinnerst du dich an deine Warnung,
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