Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms
Küche.
»Ja, er ist das prachtvollste und dabei nutzloseste Exemplar, das wir je hatten. Möchtest du vielleicht noch ein Glas Milch?«
Statt einer Antwort gähnte sie. Lachend umarmte er sie. »Dann komm ins Bett. Ich möchte beenden, was ich angefangen habe, trotz der Unterbrechung, oder bist du zu müde? Ich wünschte fast, du hättest diese Praxis nicht aufgemacht, du arbeitest zu viel.«
»Ich liebe meine Arbeit, das weißt du. Aber der liebe alte Onkel Sethos geht mir auf die Nerven.«
»Ich dachte, du magst ihn.« Er schloss die Tür zu ihrem Schlafzimmer. Nefret setzte sich an den Toilettentisch und zog die Haarnadeln aus ihrer Frisur.
»Das tue ich auch. Aber wenn er in der Nähe ist, fühle ich mich wie eine Katze in einer Kairoer Gasse, die nach allen Seiten gleichzeitig Ausschau halten muss. Wie hat el-Gharbi es umschrieben? Er wandelt unter gezückten Messern – und sie folgen ihm auf Schritt und Tritt?«
»Was man von uns auch behaupten kann. Dieses Mal ist er sozusagen ins offene Messer gelaufen.«
Sie antwortete nicht. Der rasche, feste Bürstenstrich und das energische Schütteln ihrer goldenen Locken bewiesen ihm, dass sie nicht zum Scherzen aufgelegt war.
»Wenn das geklärt ist«, hob er an. Eine innere Stimme höhnte: Ach, überhaupt kein Problem. Wir klären den Mord an Martinelli auf, finden den gestohlenen Schmuck, den Ganoven, der Daouds Boot manipuliert hat und die Verrückte, die sich für Hathor hält …
»Wenn das alles geklärt ist«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »warum fahren wir dann nicht einfach ein paar Tage weg, nur wir zwei?«
»Und was ist mit den Kindern?« Nefret öffnete eine Schublade und nahm ein Nachthemd heraus.
»Hier sind genug Leute, die sich um sie kümmern.«
In diesem strategisch ungünstigen Augenblick durchtrennte ein haarsträubender Schrei die Stille. Nefret schrak zusammen und ließ das Nachthemd fallen. Ramses griff nach seinem abgestreiften Hemd und zog es rasch wieder über. »Ich gehe«, sagte er. Charla hatte wieder einmal Albträume. Derartige Schreie bohrten sich direkt in das elterliche Nervensystem.
Elia, das Kindermädchen, schlief im selben Zimmer. Die Kinder mochten die kompetente junge Frau, allerdings vermochte sie Charla in solchen Momenten nicht zu beruhigen. Sie war an der Tür, als Ramses kam, und rang verzweifelt die Hände.
Ramses nahm das schreiende Kind auf und schmiegte es an sich. Wimmernd klammerte sie sich an ihn. »Sscht«, wisperte er. »Es ist alles gut, Schätzchen, ich bin ja da.«
Er hatte die Tür offen gelassen. Als er eilige Schritte vernahm, drehte er sich um, da er mit Nefret rechnete. Es war Maryam, ihre Miene besorgt. Sie hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, einen Morgenmantel überzuziehen. Das sie umschmeichelnde Seidennachthemd musste Nefret gehören, es war beileibe nicht die Art von Garderobe, die man als Gesellschafterin alter Damen trug.
»Was ist denn los?«, fragte sie. »Ich habe sie gehört – die arme Kleine – kann ich irgendwas tun?«
»Nein.« Nefret schob sie beiseite. »Geh ins Bett, Maryam, oder zieh dir etwas über.«
Ramses fand, dass ihre Stimme unnötig grob klang. Er lächelte Maryam zu. »Nett von dir, gleich zu kommen. Wie du siehst, hat sie sich schon wieder beruhigt.«
Nefret ging zu Davy, der kerzengerade im Bett saß, das blonde Haar wirr, seine Hände auf die Ohren gepresst. Anders als seine Schwester war er ein Tiefschläfer, den so leicht nichts erschütterte. Als er seine Mutter erblickte, nahm er eine Hand von den Ohren und deutete zum Fenster.
»Hat sie irgendwas gesehen?«, forschte Ramses. »War etwas am Fenster?«
Ihm war bewusst, dass beide Kinder keine aufschlussreiche Antwort liefern würden, trotzdem gab er die Hoffnung nicht auf. Nur manchmal, wie eben jetzt, regten ihn seine mundfaulen Zwillinge fürchterlich auf. Traum hin oder her, sie hatte irgendetwas wahrgenommen, und er hätte effizienter damit umgehen können, wenn sie ihm bloß mitteilen würde, was es gewesen war.
Davy plapperte hilfsbereit drauflos, und Charla, die inzwischen nurmehr schniefte, räkelte sich in seinen Armen. Sie war über das Schlimmste hinweg. Er legte sie wieder in ihr Bettchen. Elia reichte ihm erleichtert lächelnd ein Taschentuch. Er wischte Charla Augen und Nase und strich ihr die zerzausten Locken aus dem Gesicht.
»Sag Papa, was es war«, murmelte er sanft.
Sie erklärte es ihm langatmig und mit Gesten. Irgendwie hatte es mit dem Fenster zu tun. Ihr
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