Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms
(allen voran Emerson) hatte ich meine sonderbaren Träume von Abdullah kaum jemandem anvertraut, dennoch überraschte es mich nicht, dass auch andere davon erfuhren. Fatima und Gargery waren die geborenen Lauschposten und gaben ihr Wissen großzügig weiter. Und wusste Daoud erst einmal davon, wusste es ganz Luxor.
»Um ehrlich zu sein, weiß ich es von Daoud«, erwiderte ich. »Was habt ihr da gerade besprochen? Ihr schient mir sehr ernst. Und was meinst du mit ›seinerzeit‹, Ramses? Hast du deine Meinung inzwischen geändert?«
Ramses blies einen gekonnten Rauchring in die Luft, dabei musterte er mich nachdenklich. David lachte. »Sinnlos, ihr irgendwas vorzuenthalten, Ramses. Warum sollten wir auch? Es ist lediglich ein dummer Zufall. Schade um den armen Hassan, hoffentlich ist er friedlich entschlafen.«
»Entschlafen!«, rief ich. »Hassan, der Ehemann von Munifa? Wann? Wie?«
»Hat Abdullah es dir denn nicht erzählt?«, forschte Ramses. »Hassan war der Ideengeber von Abdullahs neuem Status; er hat sich selber zum Diener des Scheichs erklärt und Abdullahs Grab gepflegt. Die Sache fand großen Anklang. Die Leute brachten ihm Opfergaben und beteten um kleine Gefälligkeiten. Hassan war glücklich, so schien es mir jedenfalls, als ich ihn zuletzt gesehen habe. Vor zwei Tagen wurde er tot aufgefunden, von einem frühmorgendlichen Pilger.«
»Wir haben ihn in der Nacht darauf beerdigt«, sagte Selim. »Es war sein Herz, Sitt.«
»Woher weißt du das? Hat ihn ein Arzt untersucht?«
»Wozu? Er hatte keinerlei Verletzung und seine Miene war gelöst. Er war kein junger Mann mehr, Sitt Hakim.«
»Tut mir aufrichtig Leid.« Damit war mir Ernst. Hassan hatte jahrelang für uns gearbeitet, ein loyaler und fröhlicher Mitstreiter. »Bestimmt willst du Abdullahs Grab bald einmal besuchen, David. Es wird dir sicher gefallen, wie gut man deine Pläne umgesetzt hat. Wenn es dir nichts ausmacht, begleite ich dich.«
»Ja, Tante Amelia, Lia und ich haben davon gesprochen.«
»Ihr könntet Dolly mitnehmen.«
Davids sanfte dunkle Augen weiteten sich. »Meinst du wirklich? Dafür ist er doch noch zu klein, oder?«
»Überhaupt nicht. Von dem edelmütigen Charakter seines Urgroßvaters zu erfahren, wird ihm gefallen. Ich habe versprochen …«
Ich brach abrupt ab und sprang auf. »Die Pflicht ruft. Bleibt ruhig sitzen, Kinder.«
Während ich meinen diversen Aufgaben nachging, kreisten meine Gedanken immer wieder um Hassans Tod. Als Zufall konnte man das wahrlich nicht bezeichnen; schließlich wäre er eines Tages ohnehin gestorben, und dass es an Abdullahs Grab passiert war, lag daran, dass Hassan die meiste Zeit dort verbracht hatte. Was mich beschäftigte, war, warum er seinen Lebensabend religiöser Arbeit widmen sollte. Bis zum Tod seiner Frau hatte er dem Hedonismus gefrönt – soweit es seine Religion zuließ – und manchmal ganz schön über die Stränge geschlagen.
Na ja, dachte ich bei mir, religiöser Eifer ist eben nicht für jeden nachvollziehbar, außerdem suchen viele Menschen fortgeschrittenen Alters im Glauben Trost. Hassan hätte vermutlich dem Heiligen Augustinus zugestimmt, der Gott um Vergebung seiner Sünden bat – aber erst nachdem er keine mehr begehen konnte.
Eigentlich hätte Abdullah Hassans Tod erwähnen müssen. Er hatte ausdrücklich betont, dass wir das Grab besuchen sollten, aber nicht gesagt, warum. Das war indes typisch für Abdullah, der unterschwellige Andeutungen und Provokationen liebte. Er beteuerte jedes Mal, dass er die ungeschriebenen Gesetze seines jenseitigen Lebens zu befolgen habe, trotzdem wurde ich den Verdacht nicht los, dass er mich stillvergnügt auf die Folter spannte.
Um vier sollten wir den Tee einnehmen, da Fatima eine so reichhaltige Mahlzeit servieren wollte, wie wir sie noch nie gesehen hatten. Sechs tatkräftige junge Frauen halfen ihr in der Küche; als ich meine Nase hineinsteckte, schickte sie mich fort. Man legt sich nicht mit Fatima an, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Also ging ich.
Aus Manuskript H
Von seiner Frau und seiner Mutter auf dem Sofa flankiert, fühlte Ramses sich wie Odysseus, der Kurs zwischen Scylla und Charybdis zu halten versucht. Nicht dass eine der Damen jenen mythischen Ungeheuern geähnelt hätte, gleichwohl hatten beide fest gefügte Ansichten zum Thema Kindererziehung, und diese waren nicht immer identisch. Waren sie sich uneins, zogen sie ihn zu Rate.
Die weitläufige Veranda war gut gefüllt – die
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