Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms

Titel: Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
Vom Netzwerk:
versetzte Ramses. »Mir wirfst du ständig vor, dass ich Konfrontationen ausweiche. Ich habe doch nur versucht …«
    David prustete los. »Gebt euch die Hand und sagt, dass es euch Leid tut.«
    Leicht betreten fasste Ramses Nefrets hingehaltene Hand. »Tut mir Leid«, sagte er. »Verfährst du so mit deinen Kindern, David?«
    »Bei Evvie klappt es nicht«, gestand David.
    »Ihr tut nie etwas Leid«, setzte Lia hinzu.
    »Aber mir«, murmelte Nefret mit gesenktem Kopf. »Ehrlich gesagt, kann ich mir selber nicht erklären, warum ich mich da so hineingesteigert habe.«
    »Ich kann dich irgendwie verstehen«, sagte Lia. Nefret sah auf und bemerkte Lias mitfühlenden Blick. »Das Unerklärliche ist immer beunruhigend. Und sollten einem von euch Gentlemen die Worte ›weibliche Intuition‹ herausrutschen …«
    »Gott bewahre«, meinte David schockiert und mit einem verschwörerischen Augenblinzeln. »Ich habe selbst einige Vermutungen. Die Situation ist nur deshalb unerklärlich, weil wir das Motiv noch nicht eruiert haben. Kommt Zeit, kommt Rat. Und ich glaube, es wäre ein Fehler, die Geschichten um diese Hathor-Erscheinungen einfach abzutun. Nefret hat Recht, eine solche Legende ist völlig neu. Der Sache sollten wir auf jeden Fall nachgehen.«
    Die jungen Leute einigten sich darauf, dass an dem nächtlichen Ausflug nur sie vier teilnehmen sollten. David hatte bereits angedeutet, dass er den Tempel bei Vollmond malen wolle; genau das sollte ihr vordergründiges Motiv sein.
    »Wieso wir überhaupt einen Grund nennen müssen, ist mir schleierhaft«, murrte Ramses. »Sie klammern ein bisschen arg, nicht? Besonders …«
    »Womöglich haben sie Angst, dass sie uns eine Zeit lang los sind.« David grinste breit.
    Nach dem Mittagessen brachen er und Walter auf, David ging zum Schloss und Walter zum Haus, um an seinen Übersetzungen zu arbeiten. Ramses beneidete sie. Sie hatten Berge von Inschriftenmaterial zusammengetragen, zumeist fragmentarisch, aber dennoch interessant – mindestens so interessant wie die unsäglichen Tempelruinen. Sein Vater brauchte ihn hier eigentlich gar nicht. Nach jahrelangem Herumkommandieren durch Emerson kannten die Männer die Exkavationsverfahren; viele konnten genau wie Selim lesen und schreiben und exakte Aufzeichnungen vornehmen. Mit Bertie, Lia, Nefret und seiner Frau hatte Emerson einen völlig ausreichenden Mitarbeiterstab. Ramses beschloss, das Thema am Abend noch einmal anzubringen. Er hatte mit seinem Onkel bereits überlegt, gemeinsam die interessantesten Texte zu veröffentlichen. Walter konnte sich gegenüber Emerson schlecht durchsetzen – genau wie er –, wenn sie sich allerdings zusammentäten, würden sie vielleicht überzeugender auftreten.
    Am Nachmittag, nach ihrer Rückkehr, zog er sich hastig um, ließ Nefret bei den Kindern und machte sich auf die Suche nach seinem Onkel. Eins der Zimmer in dem neuen Flügel war als Lager- und Werkraum ausgestattet. Auf den Wandregalen standen Kisten mit Tonscherben, sortiert und beschriftet. Die Tuschezahlen am Rand oder auf der Rückseite jedes Stücks bezogen sich auf das Inventarverzeichnis der Fundstelle. Ein langer Tisch diente als Sekretär. Sein Onkel saß darüber gebeugt, seine Nase dicht über einem braunen, brüchigen Papyrus, seine Augen von dort immer wieder zu dem Blatt Papier wandernd, auf das er die hieratischen Zeichen übertrug.
    »Ah, Ramses«, sagte er. »Ich bin froh, dass du kommst. Was hältst du von dieser Zeichenanordnung hier? Ähnelt dem Begriff ›Ruhehafen‹, aber das ergibt in diesem Zusammenhang keinen Sinn.«
    Eigentlich hatte Ramses an der Inschrift arbeiten wollen, mit deren Übersetzung er bereits begonnen hatte, gleichwohl konnte er seinem Onkel nichts abschlagen. Er vertiefte sich in den Text. Anders als die verwitterten Symbole auf dem Papyrus war Walters Kopie gut leserlich, bis auf die Lücken, wo er die Zeichen nicht hatte identifizieren können.
    »Du kommst gut voran«, murmelte Ramses, die Zeilen überfliegend. » Es ist der Tag, an dem die Toten in die Nekropole einfahren, um … etwas … der Feind … des Ruhehafens? Das ist eine Metapher für das Sterben, die Fahrt zum Ruhehafen. Um das Land des Westens sicher zu erreichen?«
    »Der Feind des Ruhehafens?«, wiederholte Walter skeptisch. »Klingt selbst für die Ägypter ein bisschen überspannt, oder?«
    Sie diskutierten angeregt weiter und vergaßen darüber die Zeit, als unvermittelt die Tür aufsprang. Nefret hatte sie gesucht.

Weitere Kostenlose Bücher