Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms
ihr nicht entgangen. Gönnerhaft lächelnd entgegnete sie: »Ich weiß alles, Professor. Fatima hat Gargery und mich heute Morgen eingeweiht.«
Gargery räusperte sich geräuschvoll. Er verabscheute es, von Fatima aus zweiter Hand informiert zu werden.
»Ist doch merkwürdig«, fuhr Sennia fort. »Wer sollte Daoud etwas anhaben wollen?«
»Wir wissen nicht, ob jemand zu Schaden kommen sollte«, erwiderte Ramses. »Der Bursche durfte doch eigentlich nicht mehr erwarten, als dass er uns damit eine Abreibung verpassen würde. Das Boot ist ersetzbar, Sennia.«
Seine versuchte Untertreibung überzeugte sie nicht. »Daoud kann nicht schwimmen.«
»Aber wir«, betonte Ramses. »Vater und ich hatten ihn innerhalb einer Minute gerettet.« Er lachte kurz und fuhr aufgeräumt fort: »Du hättest ihn sehen müssen, Sennia. Er verlor weder die Beherrschung noch den Kopf – nicht mal seinen Turban!«
»Trotzdem, es war ein hinterhältiger Trick«, beharrte Sennia. »Was wollen wir jetzt tun?«
»Weitermachen wie bisher«, erwiderte ich. »Das war nie anders, Sennia.«
»Und es mit Fassung tragen?«, fragte Sennia todernst. »Genau«, bekräftigte David. »Du hast doch hoffentlich keine Angst, kleine Taube? Es war hinterhältig, wie du schon sagst, aber dir wird niemand etwas tun.«
»Ich hab keine Angst. Tante Nefret bringt mir das Bogenschießen bei.«
Ich seufzte tief. »Du hast dir doch nicht etwa eine neue Ausrüstung zugelegt, Nefret? Ich weiß, du warst eine Koryphäe in diesem Sport, aber jetzt, mit den Kindern …«
»Ich bin sehr vorsichtig, Mutter.« Nefret wich Ramses’ fragendem Blick aus; auch für ihn war es eine Neuigkeit, aber keine erhebende.
»Hmmm«, murmelte ich. »Evelyn, bist du ganz sicher, dass du heute arbeiten möchtest?«
»Aber natürlich.« Lächelnd sah sie auf. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich meine Arbeit genieße. Sennia, Schätzchen, hol deine Bücher, dann gehen wir.«
Sennia sträubte sich nicht mehr gegen den Unterricht bei Katherine, da sie hinterher mit Evelyn zeichnen durfte. Sie strebte davon, und ich begleitete Evelyn auf die Veranda. Während sie ihre Handschuhe überstreifte, sagte sie nachdenklich: »Meinst du, ich sollte mich bewaffnen, Amelia?«
Am liebsten hätte ich gelacht und sie umarmt; aber die Ernsthaftigkeit, die sich auf ihrem lieben, von Silberhaar umrahmten Gesicht spiegelte, warnte mich, ihre Gefühle nicht zu verletzen. Also fragte ich ebenso todernst: »Was für eine Waffe schwebt dir denn vor, Evelyn? Eine Pistole?«
»Gott bewahre, Amelia, ich fürchte mich vor Feuerwaffen und würde vermutlich den Falschen treffen. Aber vielleicht ein Messer?«
Den meisten Leuten wäre die Vorstellung, dass die sanftmütige Evelyn jemanden erstechen könnte, abwegig erschienen. Ich hatte sie indes etwas ähnlich Unglaubliches tun sehen, als sie einem Ganoven eine Ladung Blei in die Brust gepumpt hatte, in der (glücklicherweise irrigen) Annahme, dass er ihren Gatten umgebracht hätte. Sanftmütige Personen können extrem gefährlich werden, wenn sie ihre Lieben bedroht wissen.
Sie bemerkte meinen Gesichtsausdruck. Heftig erwiderte sie:
»Meinst du, ich könnte mich nicht zur Wehr setzen, wenn Sennia bedroht würde?«
»Das kannst du und das würdest du auch tun«, bekräftigte ich. »Außerdem wird Gargery euch begleiten, und Abdul, der Kutscher, ist ein starker junger Bursche. Es ist absolut nicht gesagt, dass Sennia in Gefahr ist.«
»Wir wissen nicht, wer in Gefahr schwebt«, erwiderte Evelyn. »Oder doch?«
»Nun – äh – nein. Ich hab’s. Nimm einen meiner Schirme mit. Die hast du doch auch schon erfolgreich geschwungen.«
»Der Degenschirm!?«
Offen gestanden war es keine Bitte. Sie meinte es ernst damit. Ich vernahm Sennias Stimme und sagte schnell: »In Ordnung, ich hole ihn. Aber kein Wort zu Emerson!«
Ich musste sie nicht darauf hinweisen, dass dies auch für Walter galt. Er hätte einen Mordswirbel veranstaltet. Gute Güte, dachte ich, als die Kutsche anfuhr, was für eine Horde von Amazonen wir geworden sind! Evelyn mit einem Degen, Sennia und Nefret mit Pfeil und Bogen …
Ich sollte Nefret vielleicht bitten, mir auch ein paar Unterrichtsstunden zu geben.
Und Emerson nichts davon sagen.
Aus Manuskript H
»Hölle und Verdammnis!«, knurrte Emerson. »Seht euch das an! Es kann Stunden dauern, bis die wieder an die Arbeit gehen.«
Ramses brachte Risha neben dem Pferd seines Vaters zum Stehen. Eine Menschentraube hatte sich nahe
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