Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
»Du wurdest hergebracht, um für Seine Majestät zu dolmetschen. Versuche, so gut es geht, auf meine Fragen zu reagieren, ohne dass er etwas merkt. Emerson, hör auf, ihr die Luft abzuschnüren.«
»Nein Professor, bloß nicht aufhören, ich fühle mich endlich wieder wie ein Mensch, zum ersten Mal seit … wie viele Tage sind das jetzt? Ich hab jegliches Zeitgefühl verloren.«
Zekare hatte unser Gespräch mit Argwohn verfolgt.
Jetzt sagte er etwas zu Nefret, worauf sich ihre Fröhlichkeit schlagartig verlor. »Er sagt, wir dürfen nur dann miteinander reden, wenn er es erlaubt.«
Mit einer schroffen Geste entließ er die Wachen, mit einer weiteren Selim und Daoud. Zuvor bestand Nefret jedoch darauf, die beiden zu umarmen. Dann waren nur noch die Zofen, der König und wir im Raum.
»Wir können uns ebenso gut setzen«, schlug ich vor. »Emerson, biete Seiner Majestät doch netterweise einen Becher Wein an.«
Seine Majestät lehnte das erfrischende Getränk ab. »Misstrauischer Vogel, was?« Darauf trank Emerson den Wein selbst.
»Er geht immerhin ein gewisses Risiko ein, indem er Nefret für uns übersetzen lässt.« Ich nahm dankend den angebotenen Becher und nippte vornehm daran. »Für mich ist das ein Hinweis darauf, dass er nur wenigen Menschen trauen kann, nicht zuletzt auch seinen eigenen …«
Der König ließ eine lange Rede vom Stapel, die Nefret aufmerksam verfolgte. Sie thronte auf einem Berg Kissen, hinter ihr standen, wie zu Salzsäulen erstarrt, die beiden Zofen.
»Er möchte wissen, was mit Daria passiert ist. Ob Ramses sie befreit hat, wie er es geschafft und wo er sie hingebracht hat.« Heftig setzte Nefret hinzu: »Ich im Übrigen auch. Als ich heute Morgen erfuhr, dass sie nicht mehr in ihrer Kammer ist, wollte ich es nicht glauben.«
»Wir haben sie mit unseren Zauberkräften befreit, was sonst?«, erwiderte ich. Ich benutzte das meroitische Wort für Magie, worauf der König schnaubte und Nefret kaum merklich schmunzelte.
Nach meinem Dafürhalten verstand Seine Majestät mehr Englisch, als er zugab, folglich musste ich auf meine Wortwahl achten. Das machte die anschließende Diskussion zur Herausforderung, doch ich liebe die Provokation. Natürlich stritt ich jegliches Wissen um Ramses’ Aufenthaltsort oder seine Aktivitäten energisch ab. Er sei, so führte ich aus, ein waghalsiger Kerl, der sich eben ungern Vorschriften machen lasse. Nach dieser infamen Äußerung quollen dem Regenten fast die Augen aus dem Kopf, worauf ich fortfuhr: »Wisst Ihr, selbst ich, seine eigene Mutter, konnte noch nie großartig Einfluss auf sein Handeln nehmen.« Um Nefret moralisch aufzubauen, setzte ich hinzu: »Eine Wiederholung seiner Eskapade kommt wegen deiner isolierten Unterbringung nicht in Frage, aber mir wird schon noch etwas einfallen.«
Ich betone nicht ohne Stolz, dass ich Seiner Majestät mehr zu entlocken vermochte als er mir. Wir hatten uns vorher darauf geeinigt, Merasens dubiose Geschäfte nicht zu erwähnen, da wir uns unsicher waren, was er im Einzelnen plante und wie es sich für uns auswirken würde. »Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte«, lautete Emersons Devise in diesem Zusammenhang. Meine Frage nach Captain Moroney wurde mit einem beiläufigen Schulterzucken beantwortet. Er war unwichtig und stand zu unserer Verfügung – nach dem Zeremoniell.
»Was erwartet man diesbezüglich von uns?«, erkundigte sich Emerson. Diese Frage brannte auch mir unter den Nägeln.
»Sie wird euch erklären, was ihr zu sagen habt.« Der König deutete auf Nefret. »Nachdem ich es ihr mitgeteilt habe. Ihr werdet neben mir stehen, am Fenster der Erscheinung, vor dem Volk, und verkünden, dass die Gottheiten mich zum König auserwählt haben und dass jeder, der sich gegen mich auflehnt, ihren göttlichen Zorn zu spüren bekommt. Ich werde euch wie loyale Offiziere mit hohen Ämtern und goldenen Kragen auszeichnen. Ein auserlesener Personenkreis wird den Schrein betreten und miterleben, wie sie die Göttin zurück an ihren Platz bringt. Die Göttin wird durch sie sprechen. Im Anschluss daran gibt es einen Festschmaus für das Volk.«
»Hört sich nach einer grandiosen Galavorstellung an«, bemerkte der Professor, nachdem Nefret gedolmetscht hatte. »Wirklich schade, dass wir die verpassen.«
»Aber Professor«, fing Nefret an.
»Wir alle werden sie verpassen«, betonte Emerson.
Der König brachte noch einen weiteren Punkt zur Sprache. Er nahm kein Blatt vor den Mund. »Ich weiß,
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