Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
weiß, dass die Chancen nur dann gut stehen, wenn Tarek wieder regiert. Deshalb verlasse ich mich darauf, dass Mr MacFerguson uns unterstützen wird.«
»Also, ich trau dem Burschen auch nicht«, erklärte Emerson. »Wieso dringen wir nicht selbst zu Nefret vor, wenn einer der geheimen Gänge zu ihren Gemächern führt?«
»Erinnerst du dich denn noch an den Weg?«
»Das ist zehn Jahre her«, protestierte Emerson. »Ich weiß den Weg auch nicht mehr. Verflixt, ich wünschte, Ramses wäre hier. Er hat diese Passagen unermüdlich erforscht und er hat ein Elefantengedächtnis.«
»Nur Misur darf nicht allzu lange in diesen dunklen Gängen bleiben«, schaltete Daoud sich ein. »Dann hat sie Angst.«
»So weit wird es gar nicht kommen«, beteuerte Emerson. »MacFerguson kneift womöglich schon vorher.«
Aus Manuskript H
Die Beschreibung, die Tarek von ihrem »Freund« lieferte, war nicht besonders aufschlussreich, zumal er offen zugab, dass für ihn alle »Ausländer« mit Ausnahme der Einzigartigen gleich aussähen. Allerdings keimte ein leiser Verdacht in ihm auf, als Tarek weitere Einzelheiten über ihre Begegnungen preisgab. Besagter Freund schien bestens informiert, was die Familie Emerson anging. Er war fasziniert gewesen von der Kultur der Heiligen Stadt, und als er nach seinem ersten Besuch mit wunderschönen Geschenken zurückkehrte, hatte Tarek ihm nicht nur die ganze Stadt gezeigt, sondern ihn auch in die Geheimnisse der unterirdischen Gänge eingeweiht und reich beschenkt.
»Ihr habt gebilligt, dass er Grabbeigaben geplün … genommen hat?«, fragte Ramses fassungslos.
»Nur aus den ganz alten Gräbern, um die sich niemand mehr kümmerte«, erwiderte Tarek. »Gold und Juwelen helfen den Lebenden, für die Toten haben sie keinen Wert. Die Taten eines Menschen garantieren in der anderen Welt Unsterblichkeit.«
»Wohl wahr«, murmelte Ramses. »Aber trotzdem –«
»Er sagte, die Objekte seien für den Vater der Flüche. Ich wusste doch, was der Vater der Flüche und seine werte Gemahlin schätzten. Und das Geld bedeutete Nahrung für mein Volk.«
Der Verdacht wurde zur Gewissheit, als Ramses sich nach dem Namen des Mannes erkundigte.
»Petrie«, entgegnete Tarek. »Er hat mir eins seiner Bücher mitgebracht.«
Als Ramses zurückkam, war Daria wach und bürstete sich die langen Haare. Ein Lächeln huschte über ihr angespanntes Gesicht. »Ich müsste sie dringend waschen, aber doch nicht hier, oder?«
»Nein, dies ist lediglich eine Wachbaracke«, klärte Ramses sie auf. »Tarek bringt dich in seine Villa, wo du jeglichen Komfort hast. Ihr brecht in Kürze auf.«
Er setzte sich neben sie und untersuchte ihre kleinen Füße. »Sie sehen schon besser aus. Aber du brauchst nicht zu laufen, sie organisieren eine Sänfte für dich.«
»Für mich?« Ihre Augen wurden schmal. »Und was ist mit dir?«
»Ich muss zurück.« Er unterdrückte ihren Protest, indem er ihr einen Finger auf die Lippen legte und sanft ihr Gesicht streichelte. »Tarek und ich haben einen Plan ausgearbeitet und –«
»Du kehrst um, weil du sie befreien willst.«
»Das ist Teil des Plans, ja, sofern er funktioniert.« Schmollend drehte sie das Gesicht weg, worauf er verblüfft stammelte: »Was hast du denn?«
»Ich will nicht, dass du mich verlässt. Was, wenn du nie mehr zurückkehrst?« Sie glitt auf seinen Schoß, schlang die Arme um seinen Hals und sah ihn flehend an.
»Ich komme zurück, versprochen.« Er küsste ihre leicht geöffneten Lippen. »Aber ich muss wirklich gehen, Schatz. Ich muss meinen Eltern die Situation erklären und sie in den Plan einweihen, damit sie wissen, was sie zu tun haben. Ich habe eben etwas höchst Beunruhigendes erfahren.«
»Ich muss dir auch etwas beichten. Über Newbold und wieso ich –«
»Schon gut, schon gut, du brauchst mir nichts zu erklären.«
»Du verstehst mich nicht! Lass mich mitkommen. Ich kann dir helfen.«
Ihr Betteln ließ ihn zwar nicht kalt, doch er blieb hart. »Es geht nicht, das musst du akzeptieren. Tarek sorgt für deine Sicherheit.«
Taktvolles Füßescharren vor der Tür ließ ihn aufmerken. Tarek bat darum, eintreten zu dürfen.
»Siehst du?«, raunte Ramses ihr zu. »Er ist ein höflicher, vertrauenswürdiger Mann. Bei ihm bist du mindestens so gut aufgehoben wie bei mir.«
Ihre Reaktion zeigte Ramses einmal mehr, dass er die Frauen nie würde verstehen können. Plötzlich glitt ein Strahlen über die eben noch tief betrübte Miene und sie blickte
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