Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
geben, werden sämtliche Bekannte, nicht zuletzt auch Walter und Evelyn, sich erkundigen, wo wir in diesem Winter arbeiten und warum wir weitaus früher als gewöhnlich aufbrechen. Wie willst du das den Leuten erklären?«
»Ich erkläre gar nichts«, erklärte Emerson hochmütig. »Ich diskutiere meine Pläne nicht mit Außenstehenden.«
»Nicht mal mit Walter?«
»Hmpf.« Emerson fingerte an seinem Kinngrübchen herum und hinterließ dort einen Tintenklecks. »Schätze, du hast wie üblich ein paar gute Ideen?«
»Aber gewiss doch. Dass du dich mit Maspero überworfen hast, ist kein Geheimnis. Das würde auch erklären, wieso du dieses Jahr nicht in Ägypten exkavierst. Wir müssen einen stichhaltigen Grund für unsere Reise in den Sudan parat haben. Wie wäre es beispielsweise mit einer Erkundung der meroitischen Ausgrabungsstätten, im Hinblick auf künftige Exkavationen?«
»Das könnte gehen«, räumte Emerson ein. »Mit dem Bau des Assuan-Staudamms würde ohnehin eine ganze Reihe von Gebieten zeitweise oder unwiederbringlich überschwemmt.« Er legte seinen Füllfederhalter weg und grinste mich an. »Peabody, du bist mal wieder die Stimme des Gewissens und der Vernunft. Ich gebe zu, dass ich mir über diesen Aspekt wenig Gedanken gemacht habe.«
»Das hättest du aber besser«, gab ich zurück. Das Kompliment hatte mich zwar besänftigt, trotzdem hielt ich es für ratsam, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war. »Zudem müssen wir unsere Spuren verwischen, sonst haben wir eine Meute von Journalisten, Archäologen und Schatzjägern am Hals, wenn nicht sogar Walter und Evelyn.«
Emerson trommelte nervös mit den Fingerspitzen auf die Schreibtischplatte. Er hatte lediglich eingelenkt, um mich loszuwerden und sich wieder seiner Arbeit widmen zu können. »Noch was, Peabody? Dein Vorschlag mit dem Sudan klingt doch plausibel. Den nimmt uns jeder ab. Wieso türmst du Probleme auf, wo gar keine sind?«
»Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, mein Lieber.«
»War doch klar, dass du mit einem Aphorismus antworten würdest«, grummelte mein Angetrauter. »Ach zum Teufel, mach doch, was du willst. Ich überlass es dir, die Spuren zu verwischen, wie du es so schön umschreibst.«
War mir auch klar, dass er so reagieren würde.
»Ich habe eine kleine Liste zusammengestellt«, erklärte ich, das Blatt aus der Rocktasche ziehend.
Emerson grinste widerwillig. »Dacht ich mir’s doch.«
»Als Erstes muss Merasen schleunigst von hier verschwinden. Bislang weiß nur das Personal von unserem Besucher und Gargery hat trotz seiner Herumschnüffelei keinen blassen Schimmer, welch illustren Gast wir hier beherbergen. Aber David würde Fragen stellen.«
»Stimmt.« Emerson nickte. »Also, was schlägst du vor?«
»Wir lassen ihn nach Ägypten und nach Wadi Halfa vorausreisen.«
»Ganz allein?«
»Er ist doch auch allein hergekommen.« Emerson runzelte die Stirn, worauf ich ungehalten fortfuhr: »Wir geben ihm genug Geld mit und genaue Anweisungen. Je länger er bei uns bleibt, desto größer wird die Gefahr der Entdeckung. Was, wenn Kevin O’Connell unangekündigt hier hereinschneit, oder Walter und Evelyn? Alles schon da gewesen. Ein Wort von Merasen in der Sprache des Heiligen Berges, und Walter würde seine linguistischen Antennen ausfahren.«
»Hmpf, dann begleite ich den Jungen eben nach London und kümmere mich um seine Überfahrt. Was noch?«
»Du wirst dein Vorhaben der Antikenverwaltung melden – keine Widerrede, Emerson, das musst du. Schreib doch an Mr Breasted – er ist sicher wieder in Chicago – und bitte ihn um seinen letztjährigen Nubien-Bericht. Es muss alles ganz offiziell und unverfänglich aussehen. Ich schlage vor, wir geben Meroe als Ziel an. Die Stadt liegt vierundachtzig Kilometer südlich von Napata, wo wir 1897 tätig waren und ›wo wir uns im heißen Wüstensand verloren‹, wie die Journalisten es damals blumig umschrieben. Dass man uns dorthin folgt, halte ich für ausgeschlossen.«
»Ich halte es auch für ausgeschlossen, dort zu arbeiten«, protestierte Emerson.
»Wir müssen ja gar nicht nach Meroe reisen«, versetzte ich ungeduldig. »Hauptsache, wir lassen die Leute in dem Glauben, dass unser Ziel nicht Napata ist.«
Merasen wirkte sichtlich erfreut, als er von seiner vorgezogenen Abreise erfuhr. Er war ein lebenslustiger Bursche, und was er unter Zerstreuung verstand, überstieg letztlich meine Duldsamkeit. (Ich hatte Emerson gegenüber nicht erwähnt, dass er
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