Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
geheimnisvolle Oase in der Westwüste beriefen, unter anderem auch unser Journalistenfreund Kevin O’Connell. Leider Gottes erfuhr er von Offizieren im Militärlager bei Sanam Abu Dom, dass Forths Neffe Reggie sich auf die Suche nach seinem Onkel gemacht hatte. Wir müssen unbedingt ausschließen, dass solche Leute einen Zusammenhang zwischen dieser letzten Expedition und unserer neuerlichen Sudan-Reise wittern. Das diesbezüglich größte Risiko ist Merasen selbst.«
Er stockte und holte tief Luft, da er ungewöhnlich schnell und hitzig geredet hatte. Nach einem Blick auf meine Liste sagte ich anerkennend: »Ramses, du siehst die Fakten genauso logisch wie ich.«
»Danke, Mutter. Du hattest diese Punkte natürlich schon vorab durchdacht.«
Ich musterte ihn mit einem scharfen Blick, aber seine Miene war todernst – nicht das leiseste Zucken um seine Mundwinkel. »Ja, das hatte ich. Ich fürchte nur, dass dein Vater dergleichen ignoriert, nachdem er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat. Ich werde ein Wörtchen mit ihm reden. Übernimmst du Nefret?«
Ramses schlenderte zum Fenster und starrte hinaus. »Deine Meinung hat bei ihr mehr Gewicht als meine.«
»Findest du?«
»Ja.« Er nickte, ohne sich umzudrehen. »Sie ist da draußen, mit Merasen. Die beiden üben Bogenschießen.«
Sie standen auf dem Rasen, umringt vom Personal. Sobald ich auf die Terrasse trat, stoben unsere Hausmädchen fluchtartig in sämtliche Richtungen, nur Gargery blieb unverdrossen stehen.
»Ein schöner Sport für eine junge Dame«, verkündete er. »Wenn ich das einmal anmerken darf, Madam, er bringt eine gute Figur hervorragend zur Geltung.«
Ich ließ ihm diese Vertraulichkeit unkommentiert durchgehen, da seine Miene vor beinahe väterlichem Stolz erglühte. Nefret sah wirklich hübsch aus mit Hosenrock und Weste, das straff zurückgekämmte Haar von einer großen Schleife gehalten. Sie löste den Pfeil, worauf dieser direkt auf die Scheibe traf, allerdings nicht mitten ins Ziel. Merasen raunte ihr irgendetwas zu und sie spähte lachend auf die Terrasse, wo Gargery begeistert applaudierte.
»Guten Tag, Tante Amelia. Danke, Gargery, aber Merasen findet, ich brauche viel mehr Übung.«
»Soll er es doch besser machen«, knurrte Gargery, ärgerlich über die Kritik an seinem geliebten Schützling.
Nefret gab Merasen den Bogen. Der junge Mann verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. »Das ist ein Damenbogen.«
»Mach eine kleine Pause, Nefret«, rief ich. »Du wirkst sehr erhitzt. Außerdem möchte ich mit dir reden.«
Während sie die Stufen zur Terrasse hinauflief, wischte sie sich mit dem Blusenärmel die feuchte Stirn. Ich verscheuchte Gargery mit dem Auftrag, Nefret etwas zu trinken zu holen, und kam gleich zu Sache. Sie wirkte überrascht, als ich ihr von Davids Verlagsangebot erzählte.
»Mir hat er auch nichts gesagt. Wie schön für ihn! Ich finde du hast vollkommen Recht, Tante Amelia, je weniger von unseren Plänen durchsickert, umso besser. Können wir das Ganze denn überhaupt geheim halten, was meinst du?«
»Ich muss mich unbedingt mit Emerson austauschen. Sobald die Einzelheiten geklärt sind, werden wir einen kleinen Kriegsrat einberufen.«
Emerson spürte ich in seinem Allerheiligsten auf – der Bibliothek. Als ich ihm schilderte, zu welchem Konsens Ramses und ich gefunden hatten, funkelte er mich wütend an.
»Verflucht, ich brauche David. Die Übertragung der Reliefe in den Tempeln und Gräbern des Heiligen Bergs hat Vorrang vor allem anderen.«
»Emerson, will dir denn gar nicht in den Kopf, dass es sich hier um eine Rettungsaktion und nicht um eine archäologische Expedition handelt? Wir können froh sein, wenn wir überhaupt dorthin kommen. Von einer Rückkehr ganz zu schweigen! Wie kannst du da Davids Leben aufs Spiel setzen?«
»Ramses und Nefret fahren schließlich auch mit«, versetzte er stirnrunzelnd und nicht mehr ganz so überzeugt.
»Aber nur, weil Merasen ihnen die Situation nahe gebracht hat, bevor wir es verhindern konnten. David hat von den Sachverhalten keine Ahnung. Vor die Wahl gestellt, würde er diesen Winter bestimmt lieber in England bei seiner Verlobten bleiben. Du musst ihn davon überzeugen, dass er nicht gebraucht wird.«
»Wie denn? Schließlich weiß er, dass er mir eine große Hilfe ist.«
»Das bezweifle ich, oder hast du ihn jemals gelobt?« Als mein Ehemann mich betreten anstarrte, fuhr ich zunehmend ärgerlich fort: »Sobald wir unseren Abreisetag bekannt
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