Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
könnte?«
»Ich hatte gehofft, Sie könnten einige Theorien dazu beisteuern«, meinte Ramses. »Wir sind womöglich etwas betriebsblind.«
»Wir machen eine kurze Pause«, entschied Winlock. Er rief seinem Reis ein paar Anweisungen zu und geleitete Ramses dann zu einem schattigen Platz unter der Klippe, wo er ihm einen Campinghocker anbot. »Selbstverständlich werden wir versuchen, Ihnen zu helfen. Oh …« Er spähte über seine Schulter zu einem Mann, der langsam näherkam. »Kennen Sie Michail Katschenowsky? Er hat angeboten, einige Inschriften für uns zu übersetzen. Michail, das ist Ramses Emerson.«
Die abgetragene Kleidung des Russen schlabberte um seinen Körper, sein Gesicht war griesgrämig, mit einem langen, ungepflegten Backenbart, Hakennase und hängenden Mundwinkeln. Die Lippen verzogen sich zu einem verhaltenen Grinsen.
»Natürlich kenne ich Mr. Emersons sprachwissenschaftliche Arbeiten. Angenehm, Sie kennenzulernen, Sir.« Ramses reichte ihm die Hand. »Haben Sie nicht mehrere Artikel über die demotischen Ostraka und Papyri im Turiner Museum veröffentlicht?«
Das lange mürrische Gesicht hellte sich auf. »Es ehrt mich, daß Sie sich daran erinnern. Das war vor einigen Jahren. Vor dem Krieg.«
»Ihre Übersetzungen haben mich sehr beeindruckt«, sagte Ramses höflich. So wie es aussah, brauchte der arme Teufel dringend Bestätigung. »Vor allem die von dem Burschen, der sich über die Ehefrau seines Nachbarn beschwert.«
»Ah, aber mein Verständnis von den Verbformen war nicht korrekt«, entfuhr es Katschenowsky. »Ihre neueste Publikation verweist darauf–«
»Genug jetzt«, unterbrach Lansing lachend. »Kein längerer Exkurs in die altägyptischen Dialekte. Wir möchten lieber von Gold und unermeßlichen Schätzen hören.« Sie verbrachten eine unterhaltsame Viertelstunde mit der Diskussion von Theorien, die die Emersons bereits mehr oder weniger in Erwägung gezogen hatten. Zweifellos spitzten sämtliche Arbeiter die Ohren, denn es war erheblich leiser geworden. Ramses wartete, bis der Reis zu ihnen trat, um sich von Winlock weitere Order zu holen, dann bemerkte er mit getragener Stimme: »Vater bewahrt die Statue an einem sicheren Ort auf. Ich bin der einzige, der das Versteck kennt. Er würde es nicht einmal Mutter verraten.« Die anderen tauschten vielmeinende Blicke aus. Barton verkniff sich ein Grinsen. »Hoffentlich war er nicht verärgert, als Ihre Mutter sie uns neulich gezeigt hat.«
»Ganz und gar nicht. Er möchte nur nicht, daß Unbefugte sie sehen. Immerhin hat man erneut probiert, bei uns einzubrechen.«
Davon hatte die Met-Crew schon gehört. »Keine Ahnung, wer es gewesen sein könnte?« erkundigte sich Lansing.
Ramses schüttelte den Kopf, und Winlock schaute auf seine Armbanduhr. »Zurück an die Arbeit, Jungs. Kommen Sie, Ramses, und sehen Sie sich alles an. Wir legen derzeit den südlichen Teil des Tempelinnenhofs frei. Wir haben zwar noch keine Gräber entdeckt, aber interessante bautechnische Veränderungen innerhalb der Anlage festgestellt.«
Ramses lehnte mit der Begründung ab, daß er früh zu Hause sein müsse. »Sobald die Sache geklärt ist, schaue ich gern wieder vorbei. Augenblicklich werden wir von Journalisten und sensationshungrigen Touristen umlagert.«
»Der Professor wird sich dieser Leute bestimmt annehmen«, sagte Lansing hoffnungsvoll. Emersons berühmtberüchtigte Temperamentsausbrüche galten in der gesamten Region als unterhaltsame Spektakel.
Ramses war fast zu Hause, als er einen anderen Reiter bemerkte. Es dauerte einen Moment, bis er sie wiedererkannte. Sie war wie ein Mann gekleidet, mit Reithose, Stiefeln und Jackett, und sie ritt lässig elegant im Männersitz. Er hielt an und wartete auf sie.
Ihre Begrüßung war gewohnt unkonventionell. »Ein prachtvolles Pferd! Araber?«
»Ja. Schätze, unsere Begegnung ist kein Zufall.«
»Ich habe Ihre Stallungen schon den ganzen Nachmittag beobachtet, gespannt, wann sich einer von Ihnen hinaustrauen würde«, lautete die kühle Antwort. »Mir war klar, daß Sie eine Konfrontation mit dieser Meute vor Ihrem Haus genauso verabscheuen wie ich.«
»Was wollen Sie?«
Sie lehnte sich zurück, die Zügel locker in den Händen, und lächelte kaum merklich. Zum ersten Mal wirkten ihre Züge weich und unvermutet anziehend. »Aha, Sie haben die direkte Art Ihres Vaters geerbt. Also kann ich ganz offen reden. Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Wir haben keine neuen Informationen über Ihre
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