Amelia Peabody 17: Die Schlangenkrone
Cyrus nickte zustimmend. »Aber meines Erachtens spricht noch etwas gegen ihn. Verdächtigt Ayyid ihn auch, seine Stiefmutter entführt zu haben?«
»Oder sie ermordet zu haben?« hauchte ich im Gedenken an Abdullahs Motto »ein neues Jahr, eine neue Leiche«.
Ramses bedachte mich mit einem vernichtenden Blick. »Deine Fantasie geht mal wieder mit dir durch, Mutter. In ihrer Suite fanden sich weder Blut noch Anzeichen auf einen Kampf. Garantiert hat sie ihr eigenes Verschwinden arrangiert. In ein paar Tagen taucht sie wieder auf, mit irgendeiner blutrünstigen Geschichte, und dann bekommt sie die ersehnten Schlagzeilen – und die Statue.«
»Emerson hat das Artefakt nicht mitgenommen, oder?« erkundigte sich Cyrus.
»Nein, es ist hier im Haus.«
Cyrus musterte mich erwartungsvoll. Lachend schüttelte ich den Kopf. »Es ist besser, wenn Sie nicht wissen, wo. Ich bin die einzige, die es weiß, und ich versichere Ihnen, die Statue ist gut versteckt.«
»Meinen Sie, ich würde irgend jemandem davon erzählen?« versetzte Cyrus gekränkt.
»Nicht freiwillig.«
Cyrus’ Kiefer klappten auseinander. »Amelia, finden Sie nicht, daß das ein bißchen weit hergeholt ist? Sie glauben doch nicht im Ernst, daß man mich kidnappen und foltern würde?«
»Nein«, sagte mein Sohn, wobei er mich noch schärfer fixierte. »Diesen kleinen Nervenkitzel gönnt sie nur sich selbst.«
Aus Manuskript H
Ramses fragte sich insgeheim, wer wohl alles darüber informiert war, daß seine Mutter »als einzige« das Versteck der Statue kannte. Was zudem nicht stimmte. Er wußte, wo Emerson das Artefakt verbarg und wäre jede Wette eingegangen, daß das Personal ebenfalls davon Kenntnis hatte. Folglich beschloß er, sein eigenes Gerücht in die Welt zu setzen.
Er nahm Nefret beiseite. »Ich bin für eine Weile weg. Zum Tee bin ich wieder hier. Laß Mutter nicht aus den Augen. Sie darf das Haus nicht verlassen. Andernfalls verpaßt du ihr einen Schlag auf den Schädel.«
»Ein blendender Einfall«, meinte seine Frau trocken. »Also gut, ich versuch’s. Wo willst du eigentlich hin?«
»Nach Deir el-Bahari, ich möchte mich kurz mit Winlock, Lansing und Barton austauschen. Vielleicht wissen die mehr als wir.«
»Paß auf dich auf.«
»Wird gemacht.«
Nach einem flüchtigen Kuß strebte er zu den Stallungen, sattelte Risha und ritt durch die Wüste in das Gelände, wo die Mannschaft des Metropolitan Museum arbeitete. Nach Beendigung ihrer Exkavationen in der kleinen Bucht südlich von Hatschepsuts bezauberndem Tempel widmeten sie sich dem verfallenen Tempel aus der elften Dynastie neben dem späteren Grabmonument der Pharaonin.
Im Prinzip dienten Exkavationen der Gewinnung neuer, noch unbekannter historischer Fakten. Die brutale Wahrheit war jedoch, daß die Museen zunehmend auf Ausstellungsobjekte setzten. Fundstücke wurden für gewöhnlich zwischen dem Kairoer Museum und dem Exkavator geteilt. Und der Met-Mitarbeiterstab hatte mehrere Königinnengräber, das intakte Grab eines hohen Beamten und darin wiederum einige reizende kleine Modelle gefunden, die den Wirkungskreis dieses wichtigen Mannes veranschaulichten.
Das große, natürlich angelegte Amphitheater, eingeschlossen von den lohfarbenen Sandsteinfelsen der Hochwüste, verströmte eine majestätische Aura, wenn es nicht gerade von Touristen und Archäologen belagert war. An jenem Tag erblickte Ramses schon von weitem die Staubwolke über dem Gelände der Met-Mannschaft sowie den Gesang der Arbeiter und das Geschnatter der Touristen, die, flankiert von Dragomanen, Hatschepsuts Tempel besichtigten.
Ramses wurde mit großem Hallo begrüßt, zunächst von George Barton, mit dem er einige Jahre zuvor eine etwas ungewöhnliche Erfahrung geteilt hatte, und dann von den anderen Mitarbeitern. Ihm schwante bereits, warum sie ihn so überschwenglich aufnahmen. Barton, ein liebenswert offener Mensch, nahm kein Blatt vor den Mund.
»Und, was gibt’s Neues? Wie ich höre, ist die Dame verschwunden. Hoffe, sie hatte die Statuette nicht dabei.«
Winlock, sein Vorgesetzter, schüttelte mißfällig den Kopf und reichte Ramses die Hand. »Schön, Sie wieder in Ägypten zu wissen. Nehmen Sie keine Notiz von George, seine Manieren lassen leider einiges zu wünschen übrig.«
»Ich gebe es ungern zu, aber wir anderen sind genauso neugierig.« Lansing grinste. »Georges Beschreibung von der Statuette hat uns den Mund wäßrig gemacht. Irgendeine Idee, von woher sie ursprünglich stammen
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