Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
als die Wahrheit.
Sennias Augen füllten sich mit Tränen. Sie wusste genau, was der Gentleman damit meinte; in der Schule, in Kairo, hatte man sie noch schlimmer gehänselt. Emerson verschüttete seinen Wein und Ramses bekam bleiche Lippen vor Zorn.
»Sie ist meine kleine Adoptivschwester, und ich mag sie sehr«, sagte Ramses gefährlich ruhig. »Cyrus, hat Vater Ihnen eigentlich schon von seiner Theorie erzählt, dass er ein weiteres unbekanntes Grab im Tal vermutet?«
Die Theorie war gar nicht auf Emersons Mist gewachsen, sondern Abdullah hatte etwas in der Art erwähnt. Cyrus, zornesrot im Gesicht, nahm seinen Gesprächsfaden auf, und alle beteiligten sich lebhaft.
Der Rest des Abendessens verlief ohne weitere Zwischenfälle. Sethos hatte sich bei Tisch entschuldigt, mit der Begründung, er wolle niemanden anstecken.
Als erprobte Gastgeberin sorgte ich dafür, dass sich die Unterhaltung auf die Ägyptologie konzentrierte, zumal Emerson kein anderes Thema geduldet hätte. Ich musste mich mehrfach bremsen, als unsere Gäste über die prachtvollen Artefakte in der Grabkammer spekulierten, ein- oder zweimal bemerkte ich, wie Jumana zusammenzuckte, da ihr jemand warnend auf den Fuß getreten hatte. Auch sie durfte schließlich nicht verraten, dass sie diese Objekte mit eigenen Augen gesehen hatte. Immerhin kursierten schon die wildesten Geschichten, und Rex Engelbach war gern bereit, uns nähere Aufschlüsse zu geben.
»Carters Geheimnistuerei halte ich für völlig unbegründet«, erklärte er. »Sicher, er kann nicht so viele Leute hineinlassen, weil die Artefakte womöglich Schaden nehmen. Aber er kann sie doch beschreiben oder Abzüge von Burtons Fotos herumreichen, nicht?«
»Wie ich gehört habe, will Carnarvon die Fotos an den Meistbietenden verkaufen«, meinte Cyrus.
Auf derartige Mutmaßungen ging Rex nicht näher ein. Dass er meiner Einladung gefolgt war, zeigte mir allerdings, dass er mit Howard und seinem Mäzen nicht sonderlich gut konnte. Seine Aufgabe war schwierig. Theoretisch oblag ihm die Autorisation sämtlicher archäologischer Aktivitäten in Oberägypten, das Tal der Könige eingeschlossen. Allerdings hatte die Antikenverwaltung ausländische Exkavatoren und Expeditionen noch nie großartig kontrolliert, und Rex Engelbach waren mehr oder weniger die Hände gebunden. Er konnte Carnarvon nicht vorschreiben, an wen er die Fotos verkaufen sollte, allerdings äußerte er seine Verärgerung, indem er Details diverser Objekte preisgab.
»Da ist beispielsweise dieser Sessel – ein Thron wohl eher –, der würde Ihnen glatt den Atem verschlagen. Komplett vergoldet und mit Intarsien versehen. Auf der Rückseite befinden sich Reliefe von Tutanchamon und seiner Königin. Ihre Gesichter und Körper sind Einlegearbeiten aus rötlich-braunem Glas, die Perücken und andere Details aus Halbedelsteinen, ihre Roben aus massivem Silber gegossen.«
David beugte sich vor, seine Augen leuchteten. Selbst wenn Carter Fotos herausrückte, würden sie niemals die Schönheit solcher Schätze einfangen können.
Howard verhielt sich wahrhaft egoistisch und rücksichtslos. Als ich Davids schwärmerischen Gesichtsausdruck sah, nahm ich mir fest vor, ihn in dieses Grab einzuschleusen, egal wie.
Suzannes Großvater hatte uns zwar nicht den Abend verdorben, dennoch war unsere Festtagsstimmung leicht getrübt. Cyrus brachte ihn früh nach Hause. Der alte Streithammel schien sich keiner Schuld bewusst; ganz souverän und jovial grinsend verabschiedete er sich von uns.
Die anderen Gäste blieben auch nicht mehr sehr lange, Kevin und Margaret einmal ausgenommen. Sobald alle weg waren, diskutierten wir über Sir William. Ich erlaubte Sennia aufzubleiben, weil sie unsere Meinung über solche Personen und ihre Einstellungen ruhig hören konnte. Kevin titulierte Sir William mit einigen blumigen irischen Spitznamen, Daoud erbot sich, den Herrn einige Tage bei Wasser und Brot einzusperren. Gargery, dem das schlohweiße Haar im wahrsten Sinne des Wortes zu Berge stand, erklärte, er wolle den alten Schaumschläger zu einem Faustkampf herausfordern. Dieses noble Angebot kurierte Sennia; sie verbiss sich das Lachen (denn damit hätte sie die Gefühle ihres edlen Ritters verletzt) und führte unseren Butler aus dem Zimmer.
»Wenigstens war der greise Trottel noch nicht in dem Grab«, sagte Emerson mit Genugtuung. »Sonst hätte er bestimmt damit rumgeprotzt.«
»Noch nicht«, gab ich zurück. »Wie lange bleibt er
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