Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
begegnete. Nach einer Weile ging einem das aufgesetzte Feixen nämlich gewaltig auf den Wecker.
Carla bestand darauf, jedem einen Gutenachtkuss zu geben. Sir Williams wohlwollendes Grinsen verrutschte kurz, als ihre pfefferminzschokoladenbeschmierte Wange seinen Bart streifte. Aber das konnte man ihm nicht unbedingt verübeln. Er hatte sich bisher wie ein vollendeter Gentleman verhalten, Selim und Daoud korrekt, wenn auch nicht besonders herzlich begrüßt. Auch das konnte man ihm nicht unbedingt übelnehmen.
Sobald die Kinder verschwunden waren, räumte Fatima das zerrissene Einwickelpapier und die überall verstreuten Geschenkbänder weg und Emerson goss den Whisky ein.
»Das klappte doch prima«, erklärte er mit der Selbstgefälligkeit eines Menschen, der wenig dazu beigetragen hatte. »Wer kommt denn noch alles, Peabody?«
»Nicht so viele wie in früheren Jahren.«
»Hmmm tja«, meinte Emerson. »Du hast nicht zufällig Einladungen an –«
»Ich habe nur die eingeladen, die keine anderweitigen Verpflichtungen hatten«, versetzte ich, denn ich sah keine Veranlassung, »Carters Kumpane« (Originalton Emerson) namentlich zu erwähnen.
»Was ist mit diesem Burschen Montague? Den hast du doch wohl nicht –«
»Nein Emerson, keine Sorge.«
Sir William schaute von seinem Glas auf, dessen Inhalt er fleißig zusprach. »Meinen Sie Page Henley de Montague?«
»Ja«, antwortete ich. »Kennen Sie ihn?«
»Nicht näher. Wir haben in mehreren Komitees zusammengearbeitet. Mr Vandergelt erwähnte ihn«, setzte er feixend hinzu, »etwas despektierlich.«
Nach und nach trafen die anderen Gäste ein: Marjorie Fisher und Miss Buchanan aus Luxor, Rex Engelbach, und schließlich Kevin O’Connell und Margaret Minton. Dass sie zusammen gekommen waren, verblüffte mich. Aber dann erhaschte ich Margarets amüsierten Blick. Sie wollte unter gar keinen Umständen riskieren, dass er sie noch einmal abhängte.
Ich mutmaßte, dass sie ihre beste Garderobe trug, fröhlich mausgrau wie die meisten ihrer Kleider. Ein weinroter, locker um den Hals geschlungener Schal und kleine goldene Kreolen waren ihr einziges modisches Zugeständnis. Verglichen mit den anderen anwesenden Damen in ihren eleganten Seiden- und Brokatensembles wirkte sie wie eine Gouvernante.
Selbst Miss Buchanan, die schlichte Garderobe bevorzugte, trug eine Perlenkette und Schildpattkämme.
Auf dem Weg ins Speisezimmer zog ich Margaret kurz beiseite.
»Kleidest du dich absichtlich so geschmacklos?«, wollte ich wissen. »Wenn ich mich richtig entsinne, trugst du in deiner Jugend nämlich immer den letzten Schrei.«
Ihre Augen glitzerten verschlagen. »In meiner Jugend – und in mittleren Jahren – war ich eine Idiotin. Was hat man schließlich davon, wenn man sich herausputzt, um mit dummen Frauen zu konkurrieren und bornierte Männer zu becircen?«
Ich trug Scharlachrot, Emersons Lieblingsfarbe, und dazu die Diamantohrringe, ein Geschenk von ihm. Nicht die Spur gekränkt wegen ihrer unterschwelligen Kritik, drapierte ich lächelnd ihren Schal, bis er ihr Gesicht vorteilhafter unterstrich.
Nach langem Hin und Her hatte ich zugestimmt, dass Gargery den Wein servieren sollte, und ihn angewiesen, großzügig nachzuschenken. Der werte Leser möchte sicher wissen warum. In vino veritas, kann ich da nur sagen.
Ich erfuhr mehr Wahrheiten, als mir lieb war. Margaret wurde zunehmend aufmüpfig und fetzte sich während der diversen Gänge mit Kevin. Rex Engelbach und Emerson argumentierten lautstark über Howard Carter, wobei mein Gemahl aus schierer Provokation für Carter Partei nahm. Jumana – sehr hübsch in Blassgelb – erklärte David lang und breit, dass seine Kopien von Ajas Grabmalereien die schönsten seien, die sie je gesehen habe. Suzanne wiederum empfahl Jumana wärmstens, sie solle sich einen netten ägyptischen Ehemann suchen. Irgendwann in einer jener unangenehmen Gesprächspausen wollte Sir William von Ramses wissen, ob Sennia seine uneheliche Tochter sei.
Er drückte sich anders aus. »Ein kleiner Fehltritt«, gackerte er augenzwinkernd.
Das üble Gerücht stammte noch aus der Zeit, als Ramses sich um das vernachlässigte Mädchen gekümmert und wir die Adoption eingeleitet hatten. Ich habe bestimmt schon erwähnt, dass sie das Kind meines nichtsnutzigen Neffen Percy mit einer ägyptischen Prostituierten war. Es war betrüblich, aber kaum verwunderlich, dass diese Falschinformation immer noch kolportiert wurde. Böser Wille ist oft stärker
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