Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
herausbekommen – immer vorausgesetzt, er hielte sich an die Wahrheit. Falls seine Mutter allerdings gehofft hatte, sein Onkel würde ihr unter vier Augen Vertrauliches berichten, hatte sie sich gehörig verschätzt. Als sie sich wieder zu den anderen auf die Veranda gesellte, verlangte sie mit verkniffener Miene ein Glas Whisky.
»Und vergesst nicht«, mahnte sie, als Daoud und Selim aufbrachen, »niemand darf erfahren, dass er hier ist.«
»Ja, Sitt Hakim«, bekräftigte Daoud. Er dachte über seine Antwort nach und setzte dann sicherheitshalber hinzu: »Ich habe es zur Kenntnis genommen und werde gehorchen.«
»Er wird’s Khadija erzählen«, sagte Nefret, nachdem ihre Freunde außer Hörweite waren.
Ihre Schwiegermutter lächelte milde. Daouds bessere Hälfte, eine hochgeachtete Frau nubischer Herkunft, gehörte zu ihren engsten Freundinnen und war eine begnadete Heilerin. »Khadija ist für ihn Teil seiner selbst. Zudem wird sie die Situation richtig erfassen und sich ihre eigene Meinung bilden.«
Den restlichen Nachmittag spielten sie mit den Zwillingen oder versuchten, die Große Katze des Re davon abzubringen, den Hund zu ärgern. Während des Abendessens spekulierten sie ins Blaue hinein. Wie würde Emerson reagieren? Wie könnten sie Sethos’ Ankunft weiterhin geheim halten?
Nach dem Essen wollte Nefret sich den Kranken unbedingt noch einmal ansehen; sie ließ sich dann aber überreden, zu Bett zu gehen und Ramses und seiner Mutter die Nachtwache zu überlassen. Sethos befand sich im nächsten Stadium der Malaria: hohes Fieber und Delirium. Als das Fieber in der Nacht sank, mussten sie die Laken wechseln. Seine Mutter drehte sich sittsam um, unterdessen streifte Ramses Sethos ein trockenes Nachthemd über.
»Er hat einen Arm verbunden«, bemerkte er. »Wurde er verletzt?«
Seine Mutter raunte über ihre Schulter: »Ein Streifschuss. Die Wunde hat sich entzündet. Ich muss den Verband wechseln. Ist er … ähm … wieder bekleidet?«
»Ja.«
Die Kugel hatte einen ordentlichen Fleischfetzen herausgerissen. Die Verletzung war brandig gerötet und vereitert. Sethos wälzte sich stöhnend auf dem Laken, wachte jedoch nicht auf, während sie desinfizierte und neu verband.
Sobald der Patient versorgt war, schickte Ramses sie ins Bett. »Ruf mich, wenn sich sein Zustand verändert«, lautete ihre bis dahin letzte Anweisung.
»In Ordnung. Gute Nacht, Mutter.«
Er löschte das Licht und machte es sich so bequem wie eben möglich in dem Polstersessel, den sie aus Fatimas Zimmer herübergeschoben hatten. Derweil sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnten, blieb sein Blick auf das dunkle Fensterrechteck geheftet. Nichts regte sich, einmal abgesehen von den Gardinen, die sich in der nächtlichen Brise bauschten.
Er ließ den Nachmittag noch einmal Revue passieren und hinterfragte dabei, was unbedingt noch zu tun sei. Eines stand jedenfalls fest: Sethos würde ihnen die meisten ihrer Fragen beantworten können. Sollten Sie »Smith« informieren, und wenn, wie? Was war mit Margaret? Im Gegensatz zu ihnen wusste Sethos vielleicht sogar, wie sie zu erreichen wäre. Ramses hatte sich Kareem vorgeknöpft und ihm ins Gewissen geredet. Bestimmt beherzigte der Junge seine Warnung, nur ja nichts auszuplaudern. Daoud war die andere Plaudertasche, aber er stand zu seinem Wort und hatte geschworen, Sethos nicht zu erwähnen. Fatima redete nicht viel. Und die anderen Bediensteten schliefen gar nicht im Haus. Sie würden den sonderbaren Patienten zweifellos am nächsten Tag entdecken, ihn dann aber vermutlich für einen von Fatimas Bettlern halten. Er konnte nur hoffen, dass Sethos’ Verfolger auf der falschen Spur wären oder zu beschränkt, um zwei und zwei zusammenzuzählen.
Er döste ein, schrak jedoch bei dem kleinsten Geräusch hoch. Einmal weckte ihn das Rascheln der Bettdecke; als er sich über seinen Onkel beugte, schlief der tief und fest oder tat jedenfalls so, denn sein Atem ging gleichmäßig ruhig. Ramses versagte sich den Impuls, Sethos heftig zu schütteln, und zog ihm stattdessen die Decken bis zum Kinn hoch. Dann sank er erneut in den abgewetzten Sessel.
Ich wachte noch vor Sonnenaufgang auf. Da mir unvermittelt wieder die Ereignisse des Vortages im Kopf herumspukten, war an Schlaf nicht mehr zu denken. Also schnappte ich mir meinen Morgenmantel und steuerte durch den Hof zum Dienstbotenflügel.
Sobald ich die Tür öffnete, schnellte Ramses im Sessel hoch. Er entspannte sich, als er mich
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