Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Großmamas Prachtschrank…endlich.
Ein seltsames, triumphähnliches Gefühl hatte sie erfasst. »Brennt’s noch, Frau Pepi?«, fragte sie, als sie die Waschküche betrat. Die Hausmeisterin nickte. Amelie trat neben sie und warf zunächst Blatt für Blatt der Akte X ins Feuer. Ohne innere Erregung, mit eher klinischem Interesse sah sie zu, wie das Transparentpapier sich kurz ringelte und in Sekundenschnelle zu Asche zerfiel. Dann fasste sie die erste Gamasche, hielt sie mit spitzen Fingern einen Augenblick über dem Feuer, und ließ sie fallen. Die zweite folgte auf die gleiche Weise. Es dauerte eine Weile, ehe die Gamaschen Feuer fingen. Sie brannten nicht lichterloh. Sie verglühten.
Zwei Tage später rief das Sekretariat von Doktor Leopold Bartenberg an. Ob Frau Lenz am vierten November frei sei und zu einem informellen Abendessen bei Herrn Doktor kommen könne. Ja? Wie schön, das werde Herrn Doktor außerordentlich freuen. Schriftliche Einladung pour memoire folge morgen.
13
Wieder eine dieser eleganten Büttenkarten: Leopold Bartenberg gibt sich die Ehre …
Amelie fand es sympathisch, dass er weder zum Dinner noch zum Diner, sondern einfach zu einem Abendessen bat. Am 4. November, 20 Uhr, informell.
Letzteres enthob sie der Kleiderfrage, weitgehend, aber nicht ganz. Den grauen Hosenanzug hatte sie schon bei Bartenbergs Hauskonzert getragen, ein zweites Mal ging der nicht an. Das Kostüm schien ihr für ein privates Abendessen nicht recht passend, Mummus schieden aus, und ein Kleid besaß sie nicht. Eines zu kaufen, kam bei ihrem derzeitigen desaströsen Kontostand nicht in Frage. Also würde man etwas erfinden müssen.
Im Abstellraum des Salettl stand im hintersten Winkel ein Koffer aus dem Besitz von Amelie der Älteren. Er enthielt, was Amelie der Jüngeren nach dem Tod der Großmutter aus deren Garderobe als unbedingt bewahrenswert erschienen war. Kleidung aus den Vierziger und Fünfzigerjahren, die die alte Dame aus nostalgischer Erinnerung an ihre besten Jahre aufgehoben hatte. Handschuhe aus feinem Leder, ein über und über mit silbernen Perlen besticktes Abendtäschchen, ein breiter Silberfuchskragen, ein plissierter Rock, Blusen mit Rüschen, Blusen mit Stickereieinsätzen, ein knappes, bis in die Taille reichendes violettes Angorajäckchen, Strassbroschen…
Einen ganzen Abend lang verbrachte Amelie damit, den Inhalt des Koffers zu sichten. Sie breitete die Kleidungsstücke aus und probierte und gustierte, sie stand vor dem großen Spiegel im Vorzimmer und drehte und wendete sich davor und kicherte und vergaß ihre Einsamkeit. Am Besten gefiel sie sich in einem weich fallenden Kleid aus dunkelgrauem Jersey. Es hatte Schulterpolster, lange enge, an den Handgelenken mit kleinen Knöpfchen geschlossene Ärmel, einen schmalen spitzen Ausschnitt und war einseitig gerafft. Teuflisch elegant, fand Amelie. Vor ihrem inneren Auge sah sie sich bereits in den Bartenberg'schen Salon schweben, atemberaubend damenhaft…mit aufgestecktem Haar vielleicht? In der Taille würde man es enger machen müssen, das Kleid…die Frau Pepi? Ja, die war geschickt; wie eine gelernte Schneiderin nähte und flickte sie für den alten Professor im zweiten Stock…
Nachdem sie die Garderobefrage zu ihrer Zufriedenheit gelöst hatte, rief Amelie den Wirklichen Hofrat an, um ihn zu fragen, ob sie vielleicht auch diesmal in seiner Begleitung zu Bartenberg gehen dürfe. Sie fühle sich geborgener und sicherer in seiner Gegenwart.
»Ich wüsste nicht, was ich lieber täte«, versicherte ihr der Wirkliche durchaus glaubhaft, fügte aber bedauernd hinzu, er könne ihrem Wunsch nicht entsprechen, weil er zu dem Abendessen nicht gebeten sei.
Dass Hofeneder am vierten November etwa nicht bei seinem Freund eingeladen sein könnte, hatte Amelie nicht bedacht. Das Blut schoss ihr in die Wangen, sie biss sich auf die Unterlippe und begann zu stottern. »Bitte verzeihen Sie…wie peinlich. Ich dachte, weil Sie doch mit Doktor Bartenberg so eng befreundet sind…das ist mir wirklich peinlich…« Ihr Gestotter versiegte, der Hofrat lachte gutmütig.
»Mein liebes Kind, Bartensteins Haus würde aus den Nähten platzen, wenn Leopold alle seine Freunde zu jeder seiner Abendgesellschaften einladen wollte. Gehen Sie hin, ich freue mich von Herzen für Sie, es wird Ihnen guttun, es wird Sie ablenken. Ich bin sicher, Sie werden den Abend auch ohne meine Assistenz genießen.«
Dessen wiederum war sich Amelie nun nicht mehr sicher. Ohne
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