Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
sah zu Daniel auf. Seine Augen waren dicht über den ihren. Sie waren unglaublich erotisch. Wie erotisch merkte Amelie am sachten Ziehen in ihrer Körpermitte. Auch sein Mund war verflixt nah, schien in Zeitlupe immer näher zu kommen…
Sie wich zurück, räusperte sich und versuchte zu scherzen: »Was ich noch sagen wollte: Ich habe mit August gesprochen. Er ist einverstanden, Sie können am Heiligen Abend zu uns kommen.«
Die Worte gerieten ein wenig laut. Bartenberg richtete sich auf, sein Brustkorb hob und senkte sich, er sah aus halb geschlossenen Augen auf sie nieder.
»Nur wir beide und August?«, fragte er und lächelte breit, als sie mit erhobenem Kinn erwiderte : »Ja, warum denn nicht?«
15
Wenn Amelie gewusst hätte, welcher Tschoch ihr bevorstand, hätte sie sich die Einladung verkniffen.
Bis zum 24. Dezember blieb ihr eine gute Woche. Da das Geschäft etwas in Schwung geraten war, wollte sie weder über Mittag zusperren noch abends früher dichtmachen. Was sie für den Heiligen Abend brauchte, musste daher morgens vor neun oder schnellschnell nach achtzehn Uhr besorgt werden.
Die erste Hürde, die sie nahm, war die Komposition eines Speisezettels. Das klassische Weihnachtsmenü der Familie Lenz bot sich an. Dann dachte sie an die Mutter, die schon Tage vorher über den bevorstehenden Karpfen zu schimpfen pflegte: fett, haufenweise Gräten, das Herausbacken verräuchere nicht nur das ganze Haus, sondern auch ihr bestes Kleid und ihr Haar… Karpfen schied aus. Nachdem Amelie das einzige in ihrem Besitz befindliche Kochbuch studiert und den Zeitaufwand für die Zubereitung diverser festlicher Gerichte berechnet hatte, entschloss sie sich für Rindsuppe mit Kaiserschöberln, geräucherten Lachs und Mohr im Hemd. Schließlich war sie berufstätig und Junggesellin – wer mehr erwartete, war selber schuld.
Die Frage eines Weihnachtsgeschenks für Daniel Bartenberg stellte sie sich nur flüchtig und kam zu dem Schluss: ›Ich lade ein, das genügt.‹ Die Wahl des richtigen Christbaums hingegen schien ihr eminent wichtig: ›Groß, schlank, ebenmäßig gewachsen, Tanne, was sonst.‹
Drei Abende lang klapperte sie die Christbaumstandeln in der Gegend ab, um die richtige zu finden. Fündig wurde sie schließlich in der Innenstadt. Ein Traum von einem Baum. Gute zwei Meter hoch. Nein, liefern könne er nicht, erklärte der Christbaumverkäufer. Dennoch schlug Amelie zu, schulterte den Baum, kam unter seiner Last nicht weiter als bis zum nächsten Taxistand und hatte Mühe, einen Fahrer zu finden, der bereit war, sie samt Tanne zu transportieren. Endlich daheim stellte sie mit Vergnügen fest, dass der Christbaum in der Tat makellos war, musste sich jedoch eingestehen, dass die Gesamtkosten der Aktion »O Tannenbaum« um ein Drittel mehr ausmachten, als sie dafür veranschlagt hatte.
Blieb die Kleiderfrage. Mummus zog Amelie nicht in Betracht, die hatte sie irgendwie satt bekommen. Etwas zwischen Fest und Hauskleid schwebte ihr vor. Sie kramte noch einmal in Großmutters Koffer und fischte das violette Angorajäckchen heraus. Es reichte bis in die Taille, wurde seitlich mit einem Häkchen geschlossen, saß perfekt und wirkte sexy. Da keine von Amelies Hosen dazu passte, machte sie sich nach einem kurzen Kampf gegen die eigene Vernunft zwei Tage vor Weihnachten auf und fand in einem der Warenhäuser in Mariahilf, was sie suchte: einen engen, schwarzen, knöchellangen Wickelrock aus Jersey. ›Ist die Kuh hin, ist auch’s Kalbl hin‹ – in Folge der bedenkenlos ausgesprochenen Einladung von Bartenberg dem Jüngeren würde sie ihr Sparbuch sowieso auflösen müssen.
Glücklicherweise fehlte es Amelie an der Zeit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was sie von dem Abend erwartete. Wenn es doch einmal geschah, erfüllte sie eine seltsame Unruhe, sie bekam heiße Wangen und fragte sich, wie er sich wohl verhalten werde, nachdem sie der Teufel geritten und sie Bartenberg zu einem Tête à Tête unterm Weihnachtsbaum gebeten hatte. ›Nix wird sein, zivilisiert wird er sich verhalten, einer, der zu mir derart stur Sie sagt, will keine körperlichen Intimitäten.‹ Andererseits musste sie sich eingestehen, dass ihr grade dieses Sie reizvoll erschien. Es erzeugte eine sehr persönliche Art von Intimität. Und es verlieh ihrer Beziehung etwas Geheimnisvolles. Es war schon so: Bartenbergs Neffe ließ sich nicht in die Karten schauen.
Er rief übrigens mehrfach an. Einmal, um zu fragen, ob er ihr etwas
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