Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Klavierlehrin ausn viertn Stock gsturbn is, hams ihre Kinder hint lossn.«
Sie stellte die Vase ab und sah sich um. »Jessas Fräun Lenz, is des ollas scheen«, sagte sie und seufzte vor Bewunderung, um gleich darauf nachzuhaken: »Wer kummt denn heit? Ah, da Herr Uli…Und no ana? Bravo, endlich riat si’ wieda wos bei Ihna.«
Sobald die Zadrazil gegangen war, kletterte Amelie in den »Orient«, um sich zu entspannen. Keine Chance, sie war rastlos, ihre Stimmung schwankte zwischen Beklommenheit und hochgestimmter Erwartung. ›Hoffentlich bringe ich das alles gut über die Bühne…Wenn nur der Mohr im Hemd nicht sitzen bleibt…Was tu ich, wenn sich Uli und Bartenberg nicht verstehen – all die Müh, und dann geht der Abend in die Hosen.‹
Sie kniete sich hin und sah über die Galerie des Hängebodens auf ihr Werk hinunter. Der weißblau gedeckte Tisch sah aus, als entstamme er einem Magazin für Tafelkultur. Der schön gewachsene Christbaum war wie geschaffen für seinen Platz vor dem Atelierfenster, sachte drehten sich die schimmernden Kugeln an seinen Zweigen. Bartenbergs Blumenstrauß flankierte den flämischen Prachtschrank und erhöhte die Festlichkeit des Raums. Links vom Christbaum saß August in seinem Stühlchen. Amelie hatte sein Fell gebürstet, seine Augen poliert und ihm eine goldene Masche um den Hals gebunden. In einer Pfote hielt er einen papierenen Hampelmann, einen Harlekin mit Maske, er war für Uli bestimmt. Mit der anderen Pfote drückte er einen vielfarbigen Brummkreisel an sein Bäuchlein. Für Bartenberg. In letzter Minute hatte Amelie sich entschlossen, doch etwas zu schenken. Unter einen Christbaum gehörten nun mal Geschenke. Die Tanne duftete übrigens, wie es sich gehörte, eine steirische Tanne, ihr Harz war noch frisch und klebrig.
Um siebzehn Uhr begann Amelie nervös zu werden. Erst umziehen, dann Küche. Oder umgekehrt? Umgekehrt. Den Mohr im Hemd schon jetzt in die Puddingform? Lieber nicht, fällt am End zusammen, überhaupt eine Schnapsidee, sich an eine derart heikle Nachspeise zu wagen…Hektisch fuhrwerkte sie in der kleinen Küche, verwünschte ihre mangelnde haushaltslogistische Erfahrung und hätte was darum gegeben, Lizzi an ihrer Seite zu haben.
Um achtzehn Uhr riefen die Eltern wie vereinbart aus Rom an. Der Vater, liebevoll bemüht keine Rührseligkeit aufkommen zu lassen. Ob sich Amelie auch wohl befinde? Gut so, er könne es ihrer Stimme entnehmen. Seltsam sei all das dennoch: Mutter und er in Rom, sie in Wien, es sei das erste Weihnachten in vierunddreißig Jahren, das die Familie getrennt verbringe. Kuriose neue Sitte, solle man nicht einreißen lassen. Also dann, gesegnetes Fest.
Lizzi wiederum überlagerte jede sentimentale Regung mit dem üblichen Wortschwall. »Also Herzerl, Rom ist wunderbar, der Vater und ich sind pausenlos unterwegs, heut nach Aracoeli – und du? Gehst in die Mette? Und was machst denn bis dahin, ganz allein?«
Amelie wartete das erste Atemholen nicht ab, sondern fiel Lizzi ins Wort. »Nein Mutter, es ist alles anders, ich bin gar nicht allein, ich habe Gäste.«
»…bist gar nicht allein, hast Gäste…A da schau her, wer kommt denn?«
»Der Uli. Und noch ein Freund.«
»Ein neuer?«
»Eher neu.«
»Was Ernstes?«
»Geh, Mutter…«
Als alles gesagt war, blieb Amelie noch eine halbe Stunde Zeit. Sie stürzte ins Badezimmer, um sich umzuziehen. Erst der neue Wickelrock, dann Großmutters Jäckchen. ›Verflixt kurz in der Taille, wieso bemerke ich das erst jetzt?‹ Amelie hob die Arme, zwischen Rockbund und Jäckchen trat das seidene Unterhemd zu Tage, ›nein, so geht das nicht, sieht schlampig aus, einen BH bräuchte ich, nächste Woche kaufe ich einen, blöd, nächste Woche ist zu spät, kann man nix machen, halt ohne Hemd!‹ Die Angorawolle schmiegte sich lind an ihren nackten Oberkörper, irgendwie erregend, fand Amelie und kicherte. So, fast fertig. Nur noch Großmutters baumelnde Amethyste an die Ohren. Wimperntusche und kein Lippenstift…Sie schlüpfte aus dem Badezimmer, um im großen Vorzimmerspiegel ihr Gesamtbild zu überprüfen. »Nicht übel, Frau Lenz«, sagte sie laut, zwinkerte sich zu, sah an sich herunter und bemerkte, dass sie weder Strumpfhosen noch Schuhe anhatte. Glatt vergessen. »Madonna, gleich sieben, und ich mit nackten Füßen…« Sie riss den Schuhschrank auf. Ein Blick genügte, nichts da in Schwarz außer ihren bequemen Latschen. Irgendwo mussten doch noch schwarze Sandalen sein, im
Weitere Kostenlose Bücher