Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
ich wollte Ihnen ein Porträt von ihr zeigen. Kommen Sie, es hängt in meinem Arbeitszimmer«, wandte sich Daniel unerwartet und nicht ganz apropos an Amelie.
Sie fühlte sich überrumpelt, schluckte, stotterte. »Ein anderes Mal vielleicht, ich muss jetzt gehen…«
Kein Entkommen. Bartenberg der Ältere pflichtete seinem Neffen bei. »Sehen Sie es sich an«, drängte er Amelie, »es ist ein ausgezeichnetes Porträt von Ernst Fuchs. Man vergisst oft, was für ein großartiger Porträtist dieser Mann ist.«
Gottergeben stand Amelie auf und folgte Daniel schweigend in den Flur, die Treppe hinauf, in den ersten Stock. Die Überraschung beim Anblick von Daniels Wohnräumen löste ihr die Zunge. »Jesus, hier ist ja alles leer«, seufzte sie auf.
Die gleiche Anordnung wie zu ebener Erde, Fenster straßenseitig, eine Tür führte auf einen terrassenartigen Vorsprung, welcher den Portikus krönte. Die Räume waren niedriger als die unteren und durch keine Türen getrennt, was den Eindruck erweckte, es handle sich um einen einzigen, nicht enden wollenden Raum. An seinem Ende eine breite helle Schiebetür. Glänzendes, offenbar frisch gelegtes Parkett, Leinenvorhänge in gebrochenem Weiß und keine Möbel.
»Ziemlich leer. Noch.« Vergnügt beobachtete Daniel die verdatterte Amelie.
»Obwohl ich nicht vorhabe, mehr als das Notwendigste hineinzustellen. Ich brauche Platz.«
Amelie nickte. Auch sie konnte vollgestellte Zimmer nicht ausstehen. »Man muss Platz haben, um auf- und abgehen zu können. Und nur nicht alle Wände mit Bildern zupflastern, das macht den Blick stumpf«, sagte sie eher zu sich selbst, als sie Bartenberg folgte.
»Seit meine Eltern ausgezogen sind, hat hier niemand gewohnt. Erst als ich mich entschieden habe, nach Wien zurückzukehren, habe ich begonnen, die alte Wohnung nach meinen Vorstellungen zu adaptieren. Bewohnbar ist erst mein Arbeitszimmer.« Er öffnete die Schiebetür am Ende der unmöblierten Zimmerflucht, und Amelie seufzte abermals. Diesmal vor Entzücken.
Eine vom Boden bis zur Decke reichende durch eine Galerie begehbar gemachte Bücherwand. Die Galerie erreichbar über eine Wendeltreppe. Galerie und Wendeltreppe aus Plexiglas, die Wirkung des Ganzen ungemein leicht. Der Schreibtisch von Carlo Mollino, ein Design aus dem Jahr 1949. Amelie wusste das so genau, weil sie das endslange Supermöbel einmal in einem todschicken Möbeldesignhaus gesehen und sich augenblicklich in es verliebt hatte. Musikanlage, TVGerät und eine unglaublich bequem wirkende Sitzbank, hell wie die Vorhänge, darauf haufenweise weiche Kissen in verschiedenen orange-gelb-ocker Tönen…
»Setzen Sie sich«, sagte Bartenberg.
Amelie ließ sich in die Kissen fallen.
»Das ist meine Mutter.« Bartenberg deutete auf ein Porträt, das, der Couch gegenüber, an der Wand links der Schiebetür hing. Es hing allein und zeigte das Gesicht einer Frau, die, den Kopf ein wenig hintübergeneigt, den Betrachter unter halb geschlossenen Augen ansah. Kein unbedingt schönes, aber ein unvergessliches Gesicht.
Amelie starrte auf das Bild. »Sie haben die gleiche Augenfarbe wie ihre Mutter«, murmelte sie.
Bartenberg schmunzelte. »Wieso wissen Sie das so genau, Sie sehen mich ja gar nicht an.«
»Ich weiß es eben.« Amelie fühlte, dass sie rot wurde. »Sonst sehen Sie ihr gar nicht ähnlich«, setzte sie leicht kriegerisch hinzu.
Daniel ging zu seinem Schreibtisch, kehrte mit zwei gerahmten Fotos wieder und hockte sich auf die Lehne der Sitzbank. Auf diese Weise war er Amelie sehr nahe gerückt, er saß bloß ein wenig über ihr, sie spürte die Wärme, die von seinem Körper ausging, und wurde noch röter.
»Das ist meine Tochter Anna.« Er reichte ihr eine der Fotografien. Ein schmales ernstes Gesicht, das ebenso gut einem Buben gehören könnte. »Sie ähnelt meiner Mutter im Wesen und könnte sich auch äußerlich auf sie herauswachsen.«
Dann reichte er Amelie das zweite Foto. Es war alt und vergilbt, offenbar Jahrhundertwende, und zeigte einen Mann mit breitem Brustkorb, gefurchter Stirn und lachendem Gesicht. Ein kraftvolles, lebensfrohes Mannsbild. Die Ähnlichkeit mit Daniel Bartenberg war verblüffend.
»Mein Urgroßvater August.«
»Aber dem sehen Sie ja ähnlich wie gespuckt!«, rief Amelie. Sie fuhr fort, das Foto zu studieren. »Bis auf die Nase«, spöttelte sie.
»Tja, meine Nase«, seufzte Bartenberg gespielt, »die war ganz okay, bis mir beim Boxtraining das Nasenbein gebrochen wurde.«
Amelie
Weitere Kostenlose Bücher