Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
junge Frau, die ein Vermögen für Puppen ausgab; eine musikalische Familie, die sich auf das Sammeln von Musikinstrumenten, auch solche für Kinder, spezialisiert hatte und sich neuerdings auch für Lärminstrumente wie Rasseln und Ratschen interessierte; ein Architekt, der auf Baukästen stand; und eine alte Kammerschauspielerin, die sich von der Bühne zurückgezogen hatte, ihre still gewordene Welt mit Marionetten bevölkerte und sich die Bretter, die die Welt bedeuten, mit Hilfe von kostbaren Papiertheatern neu erschuf.
Der Spätherbst war die entscheidende Jahreszeit für die bedeutenden Spielzeugauktionen. Kataloge von verschiedenen Auktionshäusern und Börsen lagen bereits vor. In den kommenden Wochen würde Amelie viel reisen müssen, davor wollte sie sich allerdings des Interesses ihrer Kunden an den vorhandenen Angeboten versichern. »Nicht schlecht, Frau Specht«, schnurrte sie, nachdem sie die Telefonate erfolgversprechend hinter sich gebracht hatte, »vom Ladenschwengel ins Spitzenfeld der Branche.«
Die zwei Jahre, die sie als ihre »Ladenschwengelzeit« bezeichnete, hatte Amelie in guter Erinnerung. An sich war sie ja nach Wien gekommen, um an der hiesigen Akademie Malerei zu studieren. Denn Max, der Maler, hatte ihr – durchaus zweckorientiert – eingeredet, dass sie ein überragendes Talent sei. Der flotte Klinger, der sich gerne Professor nennen ließ, unterrichtete Malerei an just jener Münchner Kunstgewerbeschule, die Amelie besuchte. Er, um den die schwülen Gedanken sämtlicher seiner Schülerinnen kreisten, hätte jede haben können. Aber ausgerechnet auf die zurückhaltende Amelie hatte er es abgesehen. Auf dem Umweg über »kostenlosen Privatunterricht für eine ausgesprochene Begabung« war Amelie schließlich da gelandet, wo er sie von Anfang an hatte haben wollen, nämlich in seinem Bett.
In Wien hatte sich bald herausgestellt, dass Amelies Zeichenmappe nicht einmal für die Zulassung zur praktischen Aufnahmeprüfung an die Akademie reichte. Hoffnung hin, Klinger weg – was nun? Unter das schützende Dach des Salzburger Elternhauses zu kriechen, ließ Amelies Stolz nicht zu. Also suchte sie einen Job und fand ihn als Verkäuferin in einer riesigen, Insidern wohl bekannten Altwarenhandlung in einem Wiener Außenbezirk. Eine beinharte Lehrzeit, die ihr viele Kontakte verschaffte. Unter anderem auch zu Burgi Wechsler, die Amelies Gespür für Spielzeug und ihren Sinn für Qualität erkannte und sie zunächst als Hilfskraft, später als Assistentin zu sich ins renommierte Dorotheum holte. Beobachten, lernen, beurteilen. Und selber sammeln. Nach vier Jahren konnte sich Amelie ohne Überheblichkeit als Expertin für altes Spielzeug bezeichnen und mit den dank ihrer eigenen Sammelwut angehäuften Stücken ihr Geschäft eröffnen.
Zufrieden mit sich und ihrer Umgebung wippte Amelie in ihrem ergometrischen Sitzmöbel sachte auf und nieder. Alles hier passt mir – der Raum, der Schreibtisch, August, der Rollbalken, meine Ware, meine Kunden…alles passt zu mir, »nur Hermann nicht«, sagte sie laut. »Sagt Uli«, fügte sie rasch hinzu. Ob sie Hermann anrufen sollte? Gehören würde es sich schon. Gestern war sie wirklich ekelhaft gewesen. Eine Überreaktion…worauf? Egal, Hermann hatte sie nicht verdient. Sie würde sich entschuldigen und ein ruhiges, klärendes Gespräch vorschlagen…
Ihre Hand lag schon auf dem Hörer, als der Briefträger eintrat. Er schimpfte auf die Baustelle an der Lastenstraße. Ein Verkehrschaos auf Wochen, ja Monate sei vorprogrammiert. Lauter Minderbegabte im Rathaus. Keine Planung, keine straffe Organisation, »an Preußen täten’s brauchen, Frau Lenz«.
Preuße, brauchen, Hermann! Die Assoziation lag nahe. Wieder griff Amelie nach dem Hörer. Sie war dabei, Hermanns Nummer zu wählen, als Uli hereinstürmte. »Gnädige Frau, sind Sie bereit, sich mit mir zu betrinken?« Er grinste über das ganze Gesicht, ließ seine Handgelenke kreisen wie ein Zauberer vor Kunststückbeginn und holte zwei Fläschchen Sekt aus seinen Jackentaschen.
»Was ist los, bist du in der Schweiz zum Alkoholiker verkommen?« Amelie lächelte ihn liebevoll an, sein Charme erreichte immer ihr Herz.
»Nein, Madame, ich möchte mit Ihnen auf meinen Vertrag anstoßen«, flötete er betont tuntig und dann, wieder ganz Alltags-Uli, »hast du Gläser, oder sollen wir aus der Flasche trinken.«
Amelie sprang auf, beugte sich über den Schreibtisch und japste, »Ulitschek, hast du ihn?
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