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Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Titel: Amelie und die Liebe unterm Regenschirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Molden
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Phantom?«
    Es lag wohl am Wein, dass Amelie ihm ohne Hemmung antwortete. Es fiel ihr leicht, über den Gamaschenmann zu sprechen. Über die unerklärbare Sehnsucht nach einem Unbekannten. Ihre realitätsferne Suche. Das Absurde ihrer fixen Idee. »Ich weiß, dass das Ganze verrückt ist. Eine Art Traum. Ein bisschen so wie die Wachträume in meiner Mädelzeit. Da habe ich mir den Mann meiner Träume ausgemalt. Stundenlang habe ich Szenen erfunden. Wie ich ihm begegne, was er sagt, was ich sage, wie’s zum ersten Kuss und so weiter kommt. Teenagerschwulst halt. Aber wunderbar. Das Eigenartige dabei war, dass ich den Mann gehört und gefühlt habe, nur sein Gesicht, das habe ich nie gesehen. Wie bei meinem Phantom.«
    Die beiden Männer hatten ihr aufmerksam zugehört. Uli hingerissen, Ludwig kritisch. Seine Stimme knarrte wieder, aber sie war nicht kühl, sondern Anteil nehmend, als er Amelie erwiderte. »Traum bleibt Traum. Gibt es irgendetwas an deinem Phantom, das der Wirklichkeit standhält?«
    Verständnislos sah Amelie ihn an.
    Ludwig war beharrlich. »Gibt es etwas an ihm, das nicht bloß deinem krampfhaften Erinnern an einen flüchtigen Moment entsprungen sein könnte? Etwas ganz und gar Reales? Etwas, auf das du schwören könntest?«
    Amelies Augenbrauen schwebten auf und nieder, ihre Augen weiteten sich, man sah sie denken. Brustkorb, Arme, Stimme, Geruch, Kleidung konnte sie beschreiben. Aber beschwören…Konnte sie beschwören, dass das alles so und nicht anders gewesen war?
    »Die Gamaschen!«, sagte sie plötzlich laut. »Die Gamaschen und das Hinken. Darauf kann ich schwören.«
    Ludwig ließ nicht locker. »Wie hat er gehinkt?«
    »Lass sie in Ruhe, Ludwig, sie ist schon ganz fertig«, warf Uli sich für die Freundin ins Gefecht. Amelie winkte ab.
    »Ist schon gut, Uli. Ich will wissen, was Ludwig meint mit ›wie hat er gehinkt?‹. Gehinkt hat er! Kann man denn verschieden hinken?«
    »In der Tat.« Ludwig stand auf, stellte sich in Positur und begann auf- und abzuhinken, wobei er Rhythmus und Körperhaltung immer wieder drastisch veränderte. »So hinkst du aus der Hüfte…So aus dem Knie…So aus dem Knöchel… So hatschst du, wenn du müde bist… So, wenn du Hühneraugen hast… Und so kommst du daher, wenn Gott dich mit Plattfüßen gestraft hat.«
    Die Darbietungen eines geborenen Theatermannes. Amelie und Uli schrien vor Lachen.
    »Wie, Amelie, wie hinkte der Mann deiner Träume!«, dröhnte der auch nicht mehr ganz nüchterne Ludwig theatralisch. »Achill war an der Ferse gestraft, Hephaistos hinkte vor sich hin, der Teufel hat seinen Pferdefuß, Amelies Phantom hinkt ebenfalls. Aber wie hinkt es, Amelie, wie?!«
    »Ich weiß es nicht mehr«, japste Amelie und wischte sich die Lachtränen von den Wangen.
    Mit mephistophelischem Lächeln und nachgezogenem Bein schlurfte Ludwig an sie heran, beugte sich über ihre Schulter und raunte aus dem Stehgreif: »Gestehet, Jungfer Amelie/ Ist’s Ausgeburt der Phantasie/ dass hinkte Euer Mister X?/ Wenn ja, bleibt von der Story nix.«
    Nach dem schwarzen Kaffee machte sich Amelie auf den Heimweg. Es dämmerte bereits, als sie den Ballhausplatz erreichte. Sie blieb stehen, sah zum Bundeskanzleramt hinüber und kniff die Augen zu. Es dauerte eine Weile, ehe das vertraute Bild auftauchte. Der Mann mit den Gamaschen, vornübergebeugt gegen Sturm und Regen kämpfend… Hinkte er? Oder hinkte er am Ende nicht?
    »Sinnestäuschung. Soll vorkommen«, murmelte sie und freute sich, dass der Gedanke, sie könne sich geirrt haben, sie nicht weiter verstörte. Der Wein wirkte noch immer. Machte alles leicht. »Wer Sorgen hat, hat auch Likör«, piepste sie und lachte vor sich hin.
    Als sie die Ringstraße überquerte, fielen ihr plötzlich die Gamaschen ein, sie sah sie deutlich vor sich. Mitten auf der Fahrbahn blieb sie stehen. Der Fahrer eines einbiegenden Pkw hupte wie verrückt. »Heans! San Se teppert?«, schrie er aus dem offenen Fenster. In wilden Sprüngen setzte Amelie auf den Gehsteig über. Blieb neuerlich stehen und lispelte: »Die Gamaschen gibt es, die habe ich mir nicht eingebildet, die habe ich gesehen, ich bin doch nicht doof…«
    Sie ging weiter und stand, ohne dass sie es beabsichtigt hatte, plötzlich vor ihrem Laden. Im Schaufenster saß August, rote Faschingsmaske überm stumpfen Näschen, Barett mit Federn auf dem Kopf. Gedankenverloren zog Amelie mit ihrer Fingerspitze Kreise über die kalte Auslagenscheibe. ›Irgendwo auf der Welt

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