Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
als pausenlos Menschen treffen. Aber ich…«
Als Uli abgereist war, hatte sie das Gefühl, sich auf einer Isolierstation zu befinden. Ihre Stimmung sank weiter, als sie entdeckte, dass die heitere griechischblaue Hemdenwäscherei für immer dicht gemacht hatte. »Wos woin S’, Fräu’n Lenz, die ham ja Pleite geh’n miassn«, philosophierte die Frau Pepi. »Heitzutag trogn’s do olle nur mehr so Tschersi-Leiberln. Wann siacht ma heit no an Herrn mit an begelt’n Hemd?«
Trotz der Leere in ihrem Dasein bereute Amelie ihren Entschluss nicht, X und seine Akte endgültig zu den Akten gelegt zu haben. Wiewohl sie die Euphorie, die sich in Verbindung mit dem Gamaschenmann für gewöhnlich eingestellt hatte, in ihrer derzeitigen Verfassung gut hätte brauchen können. Wenn X sich ihr dennoch »aufdrängte« manchmal »aus dem Hinterhalt anfiel«, verscheuchte sie ihn fast wütend aus ihren Gedanken. ›Er hat mich in die Misere hineingeritten! Hermann bin ich los! Meine Freunde halten mich für plemplem! Und dieses nagende Gefühl, dass mir etwas entgeht, wenn ich ihn nicht finde, das ist erst recht beschissen!‹
Dann, Ende März, brach plötzlich die Sonne durch. Im Handumdrehen legten die Parkanlagen und die Ringstraßenbäume Grün an. Die Gemüsehändlerin in der Langegasse stellte nicht mehr nur Winterhartes in den flachen Kisteln vor ihrem Geschäft zur Schau. Amelie hatte ihr Fahrrad aus dem Keller geholt, es geölt und geputzt und fühlte sich frei und jung, wenn ihr der Fahrtwind ins Gesicht blies.
Eines Morgens brachte der Briefträger mit dem üblichen Reklamematerial und den Rechnungen ein handschriftlich an sie adressiertes Bütten-Kuvert mit einer Einladung. »Leopold Bartenberg gibt sich die Ehre…« Am nächsten Tag tauchte Julius von Hofeneder auf. Von da an häuften sich die Ereignisse.
Wenn irgend möglich, sah der Hofrat noch besser aus, als bei seinem letzten Besuch. Braungebrannt, federnder Gang…, er habe sich auf seine alten Tage noch einmal auf die Skipiste gewagt, und es sei ihm bestens bekommen, berichtete er stolz. Nach eingehender Betrachtung von Amelies blassem Gesicht merkte er an, dass auch ihr Ferien einmal guttäten.
Amelie zuckte mit den Schultern. »Pensionist müsste man sein«, sagte sie mit einem Lächeln, das den Hofrat glauben ließ, sie zähle Pensionisten zu einer kleinen feinen Elite. Hingerissen sah er sie an.
»Wann, meine Gnädigste, wann werden Sie mir die Ehre geben, Sie ins Konzert oder in die Oper führen zu dürfen?« Jetzt turtelt er, dachte Amelie und bremste ihn ein, ohne dass er es merkte.
»Demnächst, wenn es Ihnen recht ist, Herr Hofrat. Ich habe wieder eine Einladung zu Doktor Bartenbergs Hauskonzert erhalten. Diesmal habe ich zugesagt. Aber ein bissel mulmig ist mir bei dem Gedanken, allein hingehen zu müssen. Ein fremdes Haus, Menschen, die ich nicht kenne. Würden Sie…?«
Und ob er würde. Der Hofrat glänzte vor Glück. Wie ein lackiertes Hutschpferd, schoss es Amelie durch den Kopf, sie verbiss sich ein Lachen und hörte artig zu, was der Wirkliche zum Thema Hauskonzert bei Bartenberg zu sagen hatte. Spät im Jahr sei es diesmal angesetzt, nach Ostern erst, zweite Hälfte April. Bartenberg sei lange verreist gewesen. Nach Mittelamerika und dann in die Staaten. Ob Amelie wisse, dass Bartenbergs Neffe in Chicago lebe?
Amelies Gedanken waren nicht ganz bei der Sache. »Ich kenne nur die Hauskonzerte in meinem Elternhaus, die sind ganz und gar informell. Bei Doktor Bartenberg scheint’s eher nobel abzulaufen. Macht man sich sehr fein dafür?«
Der Hofrat nahm den Themenwechsel elastisch, quasi im Sprung. »Ich würde sagen ja. Es geht nicht nur um Musik, der Abend ist, was man früher eine Soirée nannte. Nach dem Konzert gibt es ein gesetztes Abendessen. Bis vor ein paar Jahren waren Smoking und Abendkleid erbeten.«
Heiliges Kanonenrohr, ich brauche einen neuen Fetzen, schoss es Amelie durch den Kopf. »Werden viele Leute kommen?«, fragte sie. Als sie hörte, dass im Schnitt etwa sechzig Personen erwartet würden, schwebten ihre Augenbrauen besorgt in die Höhe. »Werden Sie mich abholen und hinbegleiten und bei der Hand halten und nicht mehr loslassen?« Schöneres hätte sie Julius Hofeneder nicht sagen können.
Wenige Tage nach dem Hofrat tauchte Vetter Lorenz unerwartet auf. Er stürmte in den Laden, vergaß, die Eingangstür zu schließen, ein Windstoß wirbelte die Auslagendekoration des Tages – papierene Hampelmänner, keiner
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