América
los?«
»Buenos«, murmelten sie, und dann antwortete einer von ihnen, den Cándido von der Arbeitsvermittlung kannte. »Keine Ahnung. Es war alles weg« - ein Nicken in Richtung des leeren Platzes -, »als wir hier ankamen.«
»Sieht aus wie geschlossen«, bemerkte der Mann neben ihm.
»Ja«, sagte der erste mit tonloser Stimme, »sieht so aus, als ob uns die gabachos hier nicht mehr haben wollen.« Er warf seine Kippe auf die Straße und schob die Hände in die Taschen. »Mir ist das scheißegal«, sagte er. »Ich werde hier stehenbleiben, bis mir jemand Arbeit gibt - ist schließlich ein freies Land hier, oder?«
»Sicher«, sagte Cándido, und in seiner momentanen Laune konnte er den Sarkasmus nicht zurückhalten, »solange du ein Gringo bist. Aber, wir sollten besser aufpassen.«
In diesem Augenblick löste sich der vertraute weiße Pritschenwagen von Candelario Pérez aus der Kette der Pendler und steuerte auf den Parkplatz des Postamts, fuhr so nahe an sie heran, daß sie unwillkürlich einen Schritt zurücktraten, um sich die Unannehmlichkeit zerquetschter Zehen zu ersparen. Er war allein, und seine Miene war so deprimiert, daß er offenbar nicht einmal aussteigen konnte. Alle vier Männer versammelten sich vor dem Fahrerfenster. »Was ist denn los hier?« wollte der erste Mann wissen, und die anderen schlossen sich der Frage an, auch Cándido.
»Geschlossen, aus und vorbei, terminado.« Candelario Pérez sprach mit erschöpfter Stimme, und man merkte, er hatte sie überstrapaziert, sie an taube Ohren, sinnlose Streitereien und unnütze Beschwerden verschwendet. Er hielt einen Moment inne, ehe er weitersprach, während das Brausen der vorbeifahrenden Pendlerautos so beständig ertönte wie die Brandung am Meeresstrand. »Die Entscheidung kam von dem Mann, der uns das Grundstück hier überlassen hat. Er hat sich's anders überlegt. Sie wollen uns nicht mehr, darauf läuft es raus. Und noch was, ich gebe euch einen Rat« - wieder eine Pause -, »wenn ihr keine grüne Karte habt, dann solltet ihr besser verduften. La Migra wird heute hier eine Razzia machen. Und morgen auch.« Die toten schwarzen Augen zogen sich zurück wie die Augen eines Leguans, und er fuhr sich mit dem Daumennagel zwischen die Vorderzähne, um einen Essensrest zu entfernen. Er zuckte die Achseln. »Und übermorgen wahrscheinlich wieder.«
Cándido spürte, wie sich sein Gesicht verspannte. Was sollten sie jetzt tun? Wenn es hier keine Arbeit mehr gab, und dafür würde La Migra schon sorgen, dann mußte er mit América verschwinden - entweder das oder verhungern. Und das hieß, daß sie in die Stadt mußten, nach Santa Monica oder Venice oder auf die andere Seite des Cañons ins San Fernando Valley. Es hieß, daß sie auf der Straße wohnen mußten, wo América der ganzen Obszönität eines Lebens von Almosen, dem Dreck und den Abfalltonnen hinter den Supermärkten ausgesetzt wäre. Dabei waren sie so nahe dran gewesen - noch zwei, drei Wochen regelmäßige Arbeit, und sie hätten die erträumte Wohnung mieten können, hätten sich ein Heim schaffen können, auf Arbeitssuche gehen wie normale Menschen, in frisch gewaschener Kleidung, im Bus fahren und in irgendeinem Hinterzimmer oder in einer kleinen Fabrik etwas finden können, wo es egal war, ob man Papiere hatte oder nicht. Und dann, in ein oder zwei Jahren, hätten sie die grüne Karte beantragen können - oder vielleicht gab es auch mal wieder eine Amnestie, wer wußte das schon? Jetzt aber war der Traum vorbei. Jetzt gab es keinen sicheren Hafen mehr, kein Camp in der freien Natur. Jetzt mußten sie auf die Straße.
Wie in Trance entfernte sich Cándido von dem Grüppchen um den Pritschenwagen, und die Last dieser Nachricht lastete schwer wie ein Stein auf seiner Brust. Warum brachte er sich nicht um, machte dem Leid ein Ende? Nach Mexiko, in dieses korrupte, bankrotte Land, wo es vierzig Prozent Arbeitslose gab, aber jedes Jahr eine weitere Million Menschen auf Stellensuche ging, wo die Inflation so hoch war, daß die Bauern ihre Ernte verbrannten, und wo nur die Reichen genug zu essen hatten, konnte er nicht zurück. Er konnte nicht zurück zu seiner Tante, um ihr wieder auf der Tasche zu liegen und zum Gespött des ganzen Dorfes zu werden, und er hätte auch Américas Eltern nicht gegenübertreten können, wenn er sie ihnen zurückbrachte wie ein kostbares Erbstück, das er ausgeliehen und besudelt hatte. Außerdem erwartete er ein Kind, un hijo, den Sohn, nach dem er sich
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