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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Beine, trotz seiner Wut und Entschlossenheit und trotz dem heulenden Chor von Frau und Sohn war er machtlos. Der Coyote erklomm den Zaun, Masche für Masche, als wäre es eine Leiter, sprang von zwei Meter sechzig Höhe ab wie ein großer hellbrauner Vogel ohne Flügel, und dann war er weg, verschmolz mit dem Gestrüpp, samt Beute. Und der Zaun? Delaney krallte sich daran, kaum einen Herzschlag später - an genau der gleichen Stelle -, aber er mußte ums Haus herum und durch das Seitentor, um aus dem Garten zu kommen.
    Inzwischen - und das mußte man Kyra nicht erst erklären, nicht einmal Jordan - war es natürlich zu spät.

4
    Und dann fand er Arbeit, fünf Tage hintereinander. Gestrüpp roden. Eine schwere, heiße, schmutzige Arbeit, bei der man Staub und kleine weiße Unkrautfetzen einatmete, bis es einen würgte, und die Sonne knallte einem in den Nacken wie eine Geißel, und die Samenkapseln dieser widerborstigen Wüstenpflanzen waren wie Nadeln, wie Angelhaken bohrten sie sich durch den Kleiderstoff hindurch in die Haut, sobald man sich bewegte, und man bewegte sich ununterbrochen. Drei Dollar fünfundzwanzig die Stunde, aber er beschwerte sich nicht. Vor der Arbeitsvermittlung war ein Gringo-Boss vorgefahren, in einem Kleinlaster mit hohen Seitenwänden aus Holzbrettern, hatte Cándido und einen anderen ausgewählt und pantomimisch dargestellt, was er von ihnen wollte. Sie stiegen hinten auf den Laster, fünf Tage lang, jeden Morgen, und er brachte sie zu einem Cañon, in dem acht neugebaute Häuser standen, und dort rodeten sie das Gestrüpp, trugen es zusammen und luden es auf den Lastwagen. Jeden Nachmittag bezahlte er in bar, und jeden Morgen war er wieder da, um sieben, pünktlich wie eine Uhr. Am fünften Tag, als sie mit der Arbeit fertig waren, gab er ihnen kein Geld, sondern er machte ihnen mit Gebärden und ein paar wirren spanischen Sätzen klar, daß er gerade knapp bei Kasse sei und am nächsten Morgen zahlen wolle, wenn er sie wieder abholte. Cándido wunderte sich, vor allem weil sie den Hang inzwischen völlig kahlgefegt hatten, überall lag die Erde frei, aber vielleicht gab es ja noch einen Cañon und noch einen Hang zum Roden. Es gab aber keinen. Jedenfalls nicht für Cándido. Er sah den Mann nie wieder.
    Na schön. Er war schon öfter reingelegt worden - dies war nicht das erste Mal. Er würde es überleben. Aber danach fand er keine Arbeit, nicht am nächsten Tag und auch nicht an den Tagen darauf, und jeden Nachmittag um eins kam er zurück in ihr Lager geschlurft, niedergeschlagen und sorgenvoll, und ließ sich von América in ihren riesigen Umstandsshorts bedienen, während aus seiner Sorge allmählich Langeweile und aus Langeweile Wut wurde. Aber er beherrschte sich. América konnte nichts dafür. Sie war sein ein und alles. Er konnte auf niemanden wütend sein als auf sich selbst, und diese Wut raste in ihm, bis er aufstehen und sich bewegen mußte, seine Hände benutzen, etwas tun, irgend etwas tun. Er dachte sich Arbeitsbeschaffungsprojekte aus: er verstärkte den Damm am unteren Ende des Stauwassers, weil der Bach mittlerweile fast ausgetrocknet war, baute vor ihrer Hütte eine Veranda aus Weidenruten, jagte Vögel und Eidechsen und was sich sonst noch alles jagen ließ, Hauptsache, er konnte damit ihre Vorräte ergänzen und mußte nicht das Geld für die Wohnung angreifen, das in der Dose unter dem Felsen versteckt lag. In dieser Dose waren jetzt dreihundertzwanzig Dollar, und das mußte er noch mindestens verdreifachen, wollten sie ein Dach über dem Kopf haben, wenn sein Sohn geboren wurde.
    Als er eines Nachmittags wieder einmal bedrückt von der Arbeitsvermittlung mit ein paar Chilischoten, Zwiebeln und einem Sack getrockneter Bohnen zurückkam, fand er am Straßenrand einen Fetzen durchsichtiges Plastiknetz, das er sich in die Hosentasche stopfte. Vielleicht konnte er sich eine lange grüne Weidenrute schneiden, die biegsame Spitze zu einem Ring binden und das Netz daran befestigen, um damit die Vögel einzufangen, die in Massen in den Büschen herumflitzten. Mit einer Angelschnur, die er ebenfalls gefunden hatte, und Américas langer Nähnadel ging Cándido an die Arbeit. In kaum einer Stunde bastelte er ein festes, professionell wirkendes Fangnetz, wobei ihm América stumm und mürrisch zusah - ihre Sympathien waren sichtlich auf Seiten der Vögel. Dann kletterte er ein Stück den Pfad hinauf und lauerte den Vögeln auf, die dort im Gebüsch zu den Festungen ihrer

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