América
keine Wohnung leisten können - wie oft muß ich dir das noch sagen?« Er drehte sich um und sah sie an. Seine Augen flackerten gefährlich. »Manchmal begreif ich dich einfach nicht«, knurrte er.
»Vielleicht ein Motel«, sagte sie. »Nur für eine Nacht. Wir könnten duschen, zehnmal, die ganze Nacht lang. Das Wasser hier ist so schlammig, dreckig, voll Schaum und Viecher. Es stinkt. Mein Haar riecht wie ein alter Hund.«
Cándido sah beiseite. Er sagte nichts.
»Und ein Bett zum Schlafen, ein richtiges Bett. Mein Gott, was gäbe ich für ein Bett - nur für eine Nacht.«
»Du kommst auf keinen Fall mit!«
»Doch.«
»Nein.«
»Du kannst mich nicht hindern - was willst du denn machen, mich wieder schlagen? Na, starker Mann? Antworte mir!«
»Wenn es sein muß.«
Sie sah das Bett vor sich, die Dusche, vielleicht einen Imbiß, eine taquería. »Du kannst mich hier nicht zurücklassen, jetzt nicht mehr. Diese Männer ... Wenn sie zurückkommen?«
Er schwieg lange, und sie wußte, daß sie jetzt beide an jenen Tag dachten, den sie vergessen mußten, und an das, was sie ihm nicht sagen konnte, was er aber zuinnerst doch wußte, und wie er sich dafür schämte. Selbst wenn sie noch hundert Jahre zusammenlebten, würde sie es ihm nie sagen können, niemals mehr andeuten als gerade eben. Trotzdem, wie konnte er ihren Bedenken widersprechen? Es war kein sicherer Ort, es war die wilde Natur.
»Indita«, sagte er, »du mußt mich verstehen - es sind fünfzehn Kilometer und ich werde auf den Straßen herumstehen, vielleicht finde ich Arbeit, vielleicht auch etwas zum Bleiben für uns, einen Platz zum Lagern, aber näher bei der Stadt. Du bist hier sicher. Niemand wird bis hierher kommen.« Er hatte ihr in die Augen gesehen, jetzt aber senkte er den Kopf und wandte sich wieder ab. »Nur der Pfad ist gefährlich«, murmelte er, »bleib weg von dem Pfad nach oben.«
Indita. Sie haßte es, wenn er sie so nannte: seine kleine Indiofrau. Er bezeichnete es als Zärtlichkeit, aber es war auch eine winzige leise Spitze gegen sie, eine Kritik an ihrem Aussehen, ihrem indianischen Blut, und sie fühlte sich dann immer klein und unbedeutend, obwohl sie genau wußte, daß sie eine der Schönsten in Tepoztlán war, vielgerühmt wegen ihrer Figur, ihres seidigen Haars, ihrer tiefen, leuchtenden Augen und ihres Lächelns, von dem alle jungen Männer sagten, es sei wie ein süßes Dessert, das sie löffelweise essen könnten, Bissen für Bissen. Aber seine Haut war heller, und er hatte die kleine Krümmung in der Nase, die seine Familie von den conquistadores geerbt hatte, allerdings war seine Stiefmutter so schwarz wie ein Zuckerrohrschneider, und seinem Vater schien es nichts auszumachen. Indita. Plötzlich sprang sie auf und schleuderte die novela ins Wasser, so daß Cándido von neuem naß wurde. »Ich werde nicht hierbleiben«, sagte sie, und ihre Stimme schwoll an, bis sie umkippte, »keinen Tag länger!«
Am Morgen - es war früh, vielleicht drei Uhr, sie wußte es nicht genau - belegte sie Maistortillas mit Bohnenpaste, Chilis und Käsescheiben und packte sie für den Aufstieg aus dem Cañon in Zeitungen ein. Sie hatten beschlossen, ihre Sachen einstweilen hierzulassen, für alle Fälle und auch weil sie ohne Gepäck weniger auffielen, wollten sich aber zumindest für eine Nacht etwas anderes suchen. Cándido hatte sogar versprochen, ein Zimmer aufzutreiben, mit Dusche und vielleicht sogar mit einem Fernsehapparat, wenn es nicht zu teuer wäre. América werkte im Schein der Kohlenglut und dem Alufolienglanz des Mondes, der wie ein Ornament genau über dem Einschnitt der Schlucht hing. Sie war aufgekratzt wie ein kleines Mädchen, das am Morgen seines Namenstages erwacht. Alles würde gut werden. Ihre Pechsträhne mußte irgendwann zu Ende gehen. Aber selbst wenn nicht, war sie bereit für eine Veränderung, ganz egal, was für eine.
Cándido grub die Erdnußbutterdose aus, nahm zwanzig Dollar heraus und steckte sie tief in die Hosentasche; dann warf er ein paar Späne in die Glut, damit América mehr Licht hatte, um ihm die restlichen dreihundert Dollar in den Saum seiner Hose zu nähen. Sie zog ihr Umstandskleid an - das rosafarbene mit den großen grünen Blumen, das Cándido ihr gekauft hatte -, packte die burritos in eine Tragetasche und kochte Kaffee und briet gesalzene Tortillas zum Frühstück. Danach machten sie sich an den Aufstieg.
Um diese Zeit herrschte fast überhaupt kein Verkehr, und das war eine
Weitere Kostenlose Bücher