América
Weißen mit den dicken weißen Händen, und sie zog sich in sich zurück, tief in ihr Inneres, wo niemand ihr etwas anhaben konnte. »He, Baby«, riefen sie ihr zu, wenn sie sie trotz ihrer Versuche, mit der Dunkelheit zu verschmelzen, bemerkten, »he, ruca, he, Sexy, ¿quieres joder conmigo? «
Es war fast Mitternacht, und sie war eingenickt - es ging nicht anders, sie konnte die Augen keine Sekunde länger offenhalten -, als sie eine Berührung an der Schulter spürte. Sie fuhr aus dem Schlaf hoch, fuhr fast aus der Haut, und da stand er: Cándido. Sogar im fahlen Zwielicht der Straßenlampen bemerkte sie das Blut auf seinem Gesicht, schwarz glänzend, nahezu farblos. Es hätte auch Öl oder Melasse sein können oder Ruß oder die Maske für irgendein Schauerstück im Theater, aber das war es nicht, und sie wußte es sofort, als sie ihn sah. »Die haben mich mit irgendwas auf den Kopf geschlagen«, sagte er so gepreßt und heiser, daß sie erst dachte, man hätte ihn außerdem zu erwürgen versucht. »Mit einem Baseballschläger, glaube ich. Genau hier.« Er hob die Hand zum Scheitel und tippte sich auf die Stelle, wo das Blut am schwärzesten war. »Sie haben mir alles abgenommen. Jeden Penny.«
Und jetzt sah sie, daß sein Hemd zerrissen und die Hose an den Säumen völlig zerfetzt war, als hätte sie irgendein Tier angenagt. Sie haben mir alles abgenommen. Im trüben unterirdischen Schein der Straßenlampe schaute sie ihm in die Augen und ließ die Worte auf sich wirken. Es würde kein Bett, keine Dusche, nicht mal etwas zu essen geben. Und in Zukunft: keine Wohnung, keine Geschäfte, keine Restaurants, kein Spielzeug, keine Decken und keine Windeln für ihr Baby. Ihre Gedanken rasten hin und her, und dann dachte sie an die freie Natur, an den Cañyon, die jämmerliche Hütte, und sie wollte sterben.
Der Kopf tat ihm weh, aber das war nichts Neues. Eine Zeitlang hatten seine Augen nicht ganz mitgespielt, er hatte alles doppelt gesehen, zwei Wände, zwei Fenster, zwei Lichter, dann vier und acht und sechzehn, bis er die Augen fest zukniff und wieder von vorn anfing. Inzwischen sah er wenigstens wieder nur ein Bild, und das war gut so, aber seine Schulter schmerzte, wo er daraufgefallen war, und was jetzt? Es war so, als wäre er noch einmal von diesem Auto überfahren worden, nur daß er diesmal niemand anders als sich selbst die Schuld dafür geben konnte. Wie hatte er so dumm sein können? Dieser chingón hatte keine Tante. Er war genauso ein Ganove wie die vagos bei der Arbeitsvermittlung, schlimmer noch. »Hier lang«, sagte er dauernd, »es ist gleich da vorn, das Haus meiner Tante, da gefällt's dir bestimmt, hombre, ganz bestimmt.« Er hatte keine Tante. Aber in der Seitenstraße warteten noch zwei von seiner Sorte - wie viele mojados hatten die wohl schon vor ihm ausgenommen? Sie wußten genau, wo sie suchen mußten - wahrscheinlich nähte jeder dämliche Hinterwäldler sein Geld im Hosensaum ein. Wo sonst sollte er es aufbewahren? In der Bank of America? Unter seinem Kopfkissen im Ritz? Es war einfach sein beschissenes Pech, sonst nichts, und jetzt tat ihm der Kopf weh, und er besaß nichts mehr, nicht mal eine anständige Hose, und América sah ihn an, als wäre er die niedrigste Lebensform auf der Erde, ohne jede Sympathie, keine Spur.
Als erstes mußte er mit América zu irgendeiner Tankstelle und sie darum bitten lassen, das Klo benutzen zu dürfen, damit er hineinschlüpfen und sich das Blut vom Gesicht waschen konnte. Es war nicht schlimm, nur etwas Kopfschmerzen, mehr nicht - Kopfschmerzen und eine Menge Blut. Ihm machte das Blut nichts aus, aber wenn ein Polizist ihn so sah, wäre er geliefert. Erst aufs Klo, dann was zu essen. Er haßte sich dafür, América das antun zu müssen, denn genau das hatte er ihr ersparen wollen, aber sie würden die Schnellimbißläden abklappern müssen - Kentucky Fried, Taco Bell oder McDonald's. Danach würden sie einen Platz zum Schlafen brauchen, ein Stück Rasen mit ein paar Büschen drum herum, eine ruhige Stelle, wo keiner sie sehen konnte, vor allem nicht die Dreckskerle, die die Straßen unsicher machten, und jetzt gab es schon zwei, die er umbringen mußte - verdammt, hijo de la chingada und scheiß auf die ganze Welt.
»Okay«, sagte er, und América sah ihn nicht einmal an, »okay, jetzt hör mir gut zu ...«
Und sie hörte ihm zu. Verängstigt, wütend, deprimiert und voll Mitleid und Haß - kein Bett, keine Dusche, gar nichts. Die nächste
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