América
unbarmherzig.«
Jack lachte. Erna lachte. Delaney brachte ein gequältes Lächeln zuwege, während man Kyra begrüßte und das Streichquartett sich in ein wildes con fuoco hineinsteigerte. »Aber mal ganz ehrlich«, fuhr Kyra fort, die nicht lockerlassen wollte, »fühlt ihr euch jetzt nicht sicherer, ihr alle - Jack, Erna? Und du, Delaney?« Hier wandte sie sich direkt an ihn. »Gib's zu.«
Delaney wurde rot. Zuckte wieder die Achseln. Das Bierglas in seiner Hand war schwer wie eine Kanonenkugel. »Ich weiß, wann ich geschlagen bin«, wollte er gerade sagen, aber Erna Jardine kam ihm mit einer Antwort zuvor. »Natürlich«, sagte sie. »Jeder von uns. Die Mauer ist kaum fertig, und schon kann ich viel leichter atmen, weil ich keine Angst mehr vor Klapperschlangen in der Garage haben muß. Oder vor Einbrechern.« Sie setzte eine treuherzige Miene auf. »Oh, ich weiß schon, es bedeutet nicht, daß wir jetzt völlig sorglos sein können, aber immerhin, es ist eine Schutz Vorkehrung mehr, nicht wahr?« Dann neigte sie sich zu Kyra und senkte vertraulich die Stimme: »Hast du das von Shelly Schourek gehört? Der Kerl ist ihr bis nach Hause nachgegangen. Hier um die Ecke, in der Calabasas Road.«
Die Party ging weiter. Delaney blieb nervös. Trank ein zweites Bier. Jack Cherrystone gesellte sich zu ihnen und gab eine ironische Zusammenfassung des Films zum besten, für den er gerade den Trailer aufgenommen hatte, wieder eine dieser apokalyptischen Cyberpunk-Visionen von Los Angeles im einundzwanzigsten Jahrhundert. Etliche Leute scharten sich um sie, als Jack vom normalen Dröhnen seiner Alltagsstimme zu der erdbebenartigen Hysterie jenes Tonfalls umschaltete, den er beruflich einsetzte. »Sie schacherten mit Babys!« donnerte er, »fraßen ihre Nachkommen auf, machten eine Todsünde aus der Liebe!« Dabei traten seine Augen aus den Höhlen. Er ließ die Wangen schlackern und fuchtelte mit den Händen, als hätte er sie in heißes Öl getaucht. Es war eine richtige Performance, diese erstaunliche Stimmgewalt in einem so kleinen Körper, und Delaney mußte lachen, er lachte, bis etwas in seinem Innern sich löste, ungeachtet aller Sorgen wegen verbrannter Truthähne, matschiger Kartoffeln und sonstiger kulinarischer Katastrophen. Er trank sein zweites Bier aus und erwog, sich ein drittes zu holen.
Das mußte etwa um vier Uhr gewesen sein - Delaney konnte die Zeit nicht genau festlegen in der wahnwitzigen Abfolge von Ereignissen, die gleich darauf einsetzte, aber er erinnerte sich, ungefähr zu dieser Zeit auf die Uhr gesehen und gedacht zu haben, daß er die Party bald verlassen mußte, wenn er weiterhin hoffen wollte, um sechs Uhr das Essen zu servieren. Und dann gingen die Sirenen los, der erste Hubschrauber donnerte über den Himmel, jemand sprang auf einen Gartentisch und schrie: »Feuer! Feuer im Cañyon!«
Kyra hatte sich prächtig amüsiert. Mochte Delaney auch etwas verstopft aussehen und jene Miene aufgesetzt haben, die sie insgeheim sein »Examensgesicht« nannte, weil er sich wegen diverser Einzelheiten der Dinnerparty Gedanken machte - war der Truthahn auch knusprig genug, das Silberbesteck geputzt, und Gott weiß was noch alles -, sie aber entspannte sich und dachte an nichts Böses. Es ist alles unter Kontrolle, sagte sie ihm immer wieder, mach dir keine Sorgen. Seit Tagen hatte sie alles organisiert, bis ins letzte Detail - es waren nur noch ein paar Sachen in der Mikrowelle aufzuwärmen und die Weinflaschen zu entkorken. Ihr Laufpensum für den Tag hatte sie bereits erfüllt und war außerdem (in Vorwegnahme etlicher überschüssiger Kalorien) vierzig Längen geschwommen, die Blumen waren geschnitten und in den Vasen arrangiert, der Truthahn briet im Ofen, und Orbalina war durchaus imstande, mit eventuell auftretenden Problemen fertigzuwerden. Und obwohl sie auch mit Kunden hätte unterwegs sein können, um ihnen Häuser zu zeigen - an Feiertagen ging das Geschäft immer gut, sogar an Thanksgiving, obwohl es der zweitschwächste unter den Feiertagen war, gleich nach Weihnachten -, glaubte sie etwas Erholung verdient zu haben. Wenn man sechs Tage in der Woche zehn oder zwölf Stunden arbeitete, auch am siebenten Tag noch am Telefon saß und seit fünf Jahren keinen richtigen Urlaub mehr gemacht hatte, nicht einmal in den Flitterwochen, dann mußte man für seine Familie - und auch für sich selbst - etwas tun. Ihre Mutter war hier, ihre Schwester war unterwegs. Sie gab eine Dinnerparty. Es war Zeit,
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