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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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kein Grund zur Panik.
    Noch nicht. Hier brachen immer wieder kleinere Feuer im Unterholz aus, und die Hälfte davon hatte die Feuerwehr nach ein paar Stunden wieder gelöscht; aber das Gestrüpp war zundertrocken, jeder wußte das - und niemand besser als Delaney. Er sah sich um, blickte in die besorgten Gesichter seiner Nachbarn, die die Hälse reckten, die Münder zusammenkniffen und in deren Augen kurz eine kalte Angst aufblitzte. Sie hatten die Brände des letzten Jahres überstanden und das Erdbeben - die Schlammlawinen übrigens auch -, und keiner wollte hysterisch werden, keiner hatte Lust, sich zum Narren zu machen, noch nicht. Noch nicht.
    Dennoch ging Delaney daran, sich durch die Menge zu drängen - »Entschuldigung, darf ich mal, tut mir leid« -, bis er Kyra fand und sie am Arm ergriff. »Liebes, wir sollten doch besser fahren - nur für alle Fälle«, sagte er. Man konnte den Rauch bereits riechen, metallisch und bitter, und ihre Augen weiteten sich, und sie stieß ein einziges Wort hervor: »Jordan.«
    Sie waren gerade eingestiegen, als der Wind drehte und die muskulöse schwarze Säule aus Qualm sich kerzengerade in den Himmel erhob und mit einem Schlag die Sonne verfinsterte. Kit saß auf dem Rücksitz, verschnupft, verärgert und zutiefst beleidigt, die Menaker-Falte tief zwischen ihre Augenbrauen gegraben. Delaney hatte ihre Hand von Dominick Floods Ellenbogen buchstäblich wegstemmen müssen. »Ich weiß wirklich nicht, wieso ihr euch so aufregt«, zeterte sie. »Bei uns in San Francisco brennt's dauernd, und dann kommen sie mit ihren Flugzeugen und ersticken das Feuer gleich wieder.« Wie aufs Stichwort dröhnte der erste Löschbomber über sie hinweg und warf eine rosa Wolke des flammenhemmenden Mittels in die Feuerhölle unterhalb von ihnen. Delaney sagte nichts. Im vergangenen Herbst wären sie beinahe evakuiert worden, sie standen knapp davor, doch die Hauptstoßrichtung des Feuersturms ging drei oder vier Kilometer hinter ihnen vorbei, auf der anderen Seite des Berges, aber auch der Sekundärbrand fraß sich den Cañyon hinauf, auf Kollisionskurs mit Arroyo Blanco, bis dann der Wind drehte und das Feuer auf das Ödland zurückwarf, das es gerade geschaffen hatte. Siebentausend Hektar Land waren damals verwüstet worden, dreihundertfünfzig Häuser verbrannt. Und drei Menschen waren gestorben.
    Als Delaney vor ihrer Einfahrt ankam, war die Sonne verdunkelt. Er fuhr den Wagen rückwärts hinein, um, falls nötig, für eine schnelle Flucht gerüstet zu sein. Beim Eintreten schlug ihm der Truthahnduft entgegen, aber die Nostalgie, die er zuvor in ihm geweckt hatte, war jetzt verflogen. Delaney nahm sich vor, ruhig zu bleiben, wahrscheinlich war es ja gar nicht schlimm, als Jordan in den Flur gepoltert kam und schrie: »Mommy! Delaney! Es brennt!« und Orbalina aus der Küche stürzte, um mit verängstigter Miene rasch von einem zum anderen zu sehen. Kyra drückte ihren Sohn an sich, während ihre Mutter sich etwas verwirrt umsah, als hätte sie sich gerade die Hände gewaschen und fände jetzt kein Handtuch, um sie abzutrocknen. Niemand schien zu wissen, was zu tun war. War die Party abgesagt? Oder doch nicht? War das Feuer nur eine Kleinigkeit, eine banale Unannehmlichkeit, die dem Tag etwas Würze verlieh und für ein paar Scherze nach dem Essen sorgen würde, oder war ihr Leben in Gefahr, ihr Haus und alles, was sie besaßen? Kyra hob den Blick zu Delaney, und in diesem Moment wurde ihm bewußt, daß ihn alle beobachteten - seine Frau, ihre Mutter, das Dienstmädchen und Jordan -, sie warteten auf ein Signal, warteten darauf, daß er etwas unternahm, zu irgendeiner Tat schritt, den Stier bei den Hörnern packte. Daraufhin durchquerte er das Zimmer und schaltete den Fernseher ein, und da war es, das Feuer, toste in grellorangefarbener Schönheit, hypnotisch und verführerisch, mit waberndem Rauch an den Rändern, als stünden ganze Reiche in Flammen.
    Schweigend sahen sie zu, wie die Kamera sich etwas entfernte, um die Löschflugzeuge zu zeigen, die in das Feuermeer hinabtauchten, man hörte das Rattern der Helikopter, das im Lautsprecher blechern klang und die donnernden Vibrationen über ihren Köpfen zu verspotten schien, und eine Stimme, der ein klammheimlicher Nervenkitzel anzuhören war, sagte: »Der vom Santa-Ana-Wind angefachte Brand, von dem die Feuerwehr inzwischen annimmt, daß er vor weniger als einer Stunde im Bachbett des Topanga Creek unterhalb von Fernwood ausgebrochen ist,

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