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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Beute wieder wegnehmen konnte. Was für ein Glück, dachte er, und tänzelte dabei den Berg hinunter, was für eine großartige Sache! Damit würde er ein Lächeln auf Américas Gesicht zaubern, damit bestimmt, knusprig gebraten und mit dem eigenen Saft übergossen; als erstes würde er für eine richtige Glut sorgen, ein loderndes Feuer, das ein Bett aus glühender Holzkohle erzeugte, und dann würde er den pavo am Spieß rösten, ganz langsam, er würde sich daneben setzen und den Spieß drehen, bis der Braten rundum schön braun war, ohne eine einzige verbrannte Stelle.
    Er eilte den Pfad hinunter, und jetzt plagten ihn keine Sorgen mehr, weder seine Hüfte noch der Kiefer, noch der Wind in seinem Gesicht, er dachte nur an das Bier, an den Truthahn und an América. »Quoack, quoack!« rief er und rannte platschend durchs Wasser auf seine Frau zu, die wie eine Statue im Sand saß. »Quoack, quoack, quoack, sieh nur, was papacito dir mitgebracht hat!«
    Und sie lächelte. Tatsächlich, beim Anblick des Viehs lächelte sie, wie es kopf-, fuß- und federnlos als eine große dicke Kugel aus Fleisch vor ihr lag, Truthahnfleisch, ein Festessen für zwei. Sie trank einen Schluck Bier, als er es ihr anbot, und sie drückte zärtlich seinen Oberarm, während er ihr die beispiellose Geschichte dieses Truthahns erzählte, und schon züngelten die Flammen, der Wind, der durch den Cañon pfiff, fachte sie an, und Cándido überlegte, ob er aufstehen sollte von dem gemütlichen Platz mit dem Bier, mit América, mit den Vögeln in den Bäumen und den quakenden Fröschen am Wasserrand, um noch mehr Feuerholz zu suchen.
    Er stand auf. Der Wind fuhr in das Feuer, und es loderte hoch auf. Auf der Suche nach Holz ging Cándido das Bachbett auf und ab, schlug die größeren Äste gegen Baumstämme, um sie zu zerkleinern, und jedesmal, wenn er zurückkam, um Feuer nachzulegen, saß América auf dem Boden, hielt den bleichen weißen Vogel in den Armen, als hätte sie ihn gerade zur Welt gebracht, knetete das kalte Fleisch und mühte sich damit ab, ihm den dicken grünen Holzspieß durch den Körper zu schieben. Ja, sagte er zu ihr, ja, so ist es richtig, und er war glücklich, so glücklich, wie er noch nie gewesen war, bis zu dem Augenblick, als der Wind das Feuer aus seinem Kohlebett riß und mit einem Fauchen, das lauter klang als alle Öfen der Hölle, die Glut durch die Baumwipfel tanzen ließ.

Dritter Teil
Socorro

1
    »Aber es sind doch nur zwei Blocks«, sagte Delaney in den angelaufenen Badezimmerspiegel, während Kyra hinter ihm im Schlafzimmer auf und ab ging und verschiedene Sachen anprobierte. Er hatte sich das Haar mit dem Handtuch getrocknet, und jetzt rasierte er sich. Obwohl die Tür zum Flur geschlossen war, konnte er den Truthahn riechen, denn das ganze Haus war vom Duft des Bratens erfüllt, ein Aroma, das ihn zurück in die Kindheit versetzte, in die weitläufige Wohnung seiner Großeltern in Yonkers, wo ihm schon im Treppenhaus eine Geruchsmischung entgegenschlug, die mit jeder Stufe der drei Stockwerke nach oben zunehmend stärker wurde, bis sie schließlich explodierte, wenn die Tür aufging und seine Großmutter in der Küchenschürze vor ihm stand. Nichts hatte je wieder so gut gerochen - keine französische Bäckerei im ersten Morgengrauen, kein Restaurant, kein Barbecue und kein Muschelessen. »Ist doch lächerlich, dafür den Wagen zu nehmen.«
    Kyra erschien in der Badezimmertür. Sie trug einen schwarzen Unterrock und hatte das Haar hochgebunden. »Beeil dich doch ein bißchen«, sagte sie, »ich brauche den Spiegel. Und ja, wir nehmen den Wagen, natürlich nehmen wir den Wagen. Was meinst du, wie bei diesem Wind meine Frisur aussehen würde?«
    Jordan war im Wohnzimmer, sah eine Videoaufnahme der großen Thanksgiving-Parade in New York, Orbalina wuselte herum, um den Tisch zu decken und in der Küche die Unordnung vom Kochen zu beseitigen, und Kyras Mutter - Kit - machte sich im Gästezimmer frisch. Delaney spähte durch einen Schlitz in der Jalousie. Es war ein klarer, heißer, stürmischer Tag. »Da hast du wohl recht«, gestand er zu.
    Damals, früher, war er immer in Anzug, Krawatte und Mantel gegangen, sogar schon mit fünf oder sechs, wie die vergilbten Schwarzweißfotos bezeugten. Aber in jenen Zeiten war alles formeller gewesen. Und außerdem kalt. Jetzt im November waren die Seen zugefroren, und der Wind vom Hudson hatte etwas Schneidendes. Aber hier und heute - was sollte er zu Dominick Floods

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