América
der Lampe hinaus und dort, gleich an der Wand zu seinen Füßen, sah er einen Wasserhahn und einen zusammengerollten grünen Schlauch, der an einem Plastikrohr des Bewässerungssystems lehnte.
Er fand einen Becher im Schuppen und trank drei Becher Wasser, dann füllte er ihn nochmals für América und ging zu ihr zurück, die Lampe baumelte gegen seine Füße und warf einen trüben Schein auf die Büsche vor ihm. Er folgte der Mauer bis zu der Stelle, wo er zur Orientierung ein Holz in den Boden gesteckt hatte, und bog dort im rechten Winkel ab, rief im Gehen nach América. Die Erde war fahl, die Büsche noch fahler. Rauch wallte den Hügel herauf wie ein tödlicher Nebel. »Hier«, rief sie. »Hier bin ich!«
Es war heiß. Es stank. Sie hatte Angst. Sie konnte es nicht fassen, daß sie ihr Baby an so einem Ort bekam, wo die ganze Welt in Brand stand und niemand da war, um ihr zu helfen, keine Hebamme, kein Arzt, nicht einmal eine curandera. Und die Schmerzen. Alles war so eng da unten, und es preßte nach innen anstatt nach außen. Sie lag in einem Schuppen, auf einem Meer aus raschelnden Plastiksäcken mit Grassamen, der Schweiß glitzerte auf ihr wie Öl zum Braten, und Cándido wuselte mit seinem Messer herum - er schärfte es auf einem Schleifstein -, als ob er sich irgendwie nützlich machen könnte. Die Wehen kamen jetzt regelmäßig, eine pro Minute oder so, und sie raubten ihr den Atem. Sie wollte schreien, laut nach ihrer Mutter schreien, nach Tepoztlán, nach allem, was sie zurückgelassen hatte, aber sie hielt sich zurück, hielt alles zurück, immer zurückhalten und warum nicht hinaus, wieder und wieder.
Sie träumte, sie war wach und träumte, aber ihre Träume waren erfüllt von Zähnen und Klauen und dem Heulen von Tieren. Draußen, jenseits der dünnen Haut des Schuppens, raste das Inferno auf sie zu, der Sturm schepperte an den Wänden wie ein Trommelwirbel, und Cándidos Gesicht war eine glühende Kugel aus Schweiß und Sorge. Sie wußte, was er dachte: Sollten sie weglaufen? Und konnten sie überhaupt weglaufen, wenn jetzt ihr Baby kam? Und warum mußte es ausgerechnet jetzt kommen? Und wer hatte ihn eigentlich zur Zielscheibe aller Katastrophen dieser Welt erwählt? Aber sie konnte ihm nicht helfen. Sie konnte sich kaum rühren, und die Wehen packten sie und gaben sie wieder frei, bis sie sich wie ein Hartgummiball fühlte, der gegen eine Wand geschleudert wurde, wieder und immer wieder. Und dann, mitten in alldem, als die schrecklichen, pressenden Schmerzen dicht aufeinander folgten, hörten die Tiere plötzlich auf zu heulen, und der Wind ließ von seinem ständigen Trommeln gegen die Wände ab. Jetzt hörte América das Feuer, ein knisterndes Zischen wie ein voll aufgedrehter Fernseher mitten in der Nacht nach Sendeschluß, und dann ein dünnes, jammerndes Winseln, das kein Heulen und kein Kreischen war, sondern das vorsichtige fragende Miauen einer Katze, einer hübschen kleinen Siamkatze mit durchscheinenden Ohren, die durch die offenstehende Tür direkt auf sie zukam, als würde sie sie kennen. América streckte die Hand aus, ballte sie zur Faust, als der Schmerz sie überwältigte, aber die Katze blieb bei ihr. »Gatita«, flüsterte sie ihrem gewölbten Rücken und den blauschimmernden Augen zu, »du bist die Richtige. Du bist die Heilige. Du. Du wirst meine Hebamme sein.«
3
Die Nacht brach herein wie ein Schlag mit dem Hammer: kein sanft schwindendes Licht, kein Farbenspiel am Horizont, keine fliegenden Schwalben und kein Zikadenchor. Delaney beobachtete das Geschehen hinter der Polizeisperre am obersten Punkt des Topanga Canyon, neben sich seine Frau, seinen Stiefsohn und seine Schwiegermutter. Ihre Freunde und Nachbarn hatten sich ebenfalls eingefunden, Flüchtlinge mit Landrover, Mercedes-Benz und Jeep Cherokee, die bis unters Dach mit ihren elementarsten Besitztümern beladen waren, mit Studentenjahrbüchern, Miles-Davis-Platten, Steuerunterlagen, mit Fernsehern und Videorecordern, mit Gemälden, Teppichen und Schmuck. Über ihnen dröhnten die Wasserbomber, und Feuerwehrwagen rasten mit jaulenden Sirenen die Straße entlang. Rotierende Warnlichter tauchten das Panorama der dicht gedrängten, ängstlichen Gesichter in ein flackerndes Licht, und vor den gelben Plastikbändern, die die Menge zurückhalten sollten, waren Polizisten postiert. Es herrschte Krieg, kein Zweifel.
Kyra lehnte sich an Delaney, hielt seinen Arm mit beiden Händen gepackt, legte den Kopf an seine
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