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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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und wieder wegdämmerte. Da träumte er die Träume eines Gehetzten - sie jagten ihn, gesichtslose Horden mit hellem irischem Haar und zupackenden Händen, und er lief und lief, bis sie ihn in einer kleinen Holzkiste an einem Berghang in die Enge trieben. Davon erwachte er, im sanften Schein der Lampe, an seiner Seite schliefen América und das Baby. Es roch nach Obst - der Duft war so stark, daß er einen Moment lang glaubte, er sei wieder fünfzehn und arbeite mit der Saftpresse am Stand auf dem mercado. Er riß sich zusammen, nach der Plackerei tat ihm alles weh, aber er stützte sich auf den Ellenbogen auf und sah sich in der kleinen Hütte um, in seinem neuen Heim, seiner Zufluchtsstätte, seinem Versteck. In einer Ecke lag ein Haufen Schalen, Kerne und Fruchtfleisch, leergekaut und wieder ausgespuckt, ein gewaltiger Haufen, und dann sah er auf die schlafende América, auf ihre rissigen Lippen und das saftverschmierte Kinn.
    Das war keine gute Idee. So würde sie Durchfall bekommen, wenn sie ihn nicht schon hatte. Schließlich stillte sie, zum Donnerwetter - da brauchte sie Fleisch, Milch, Eier, Käse. Aber wie sollte er das heranschaffen? Sich in dem Laden blicken zu lassen, wagte er nicht, und selbst wenn er sich traute, steckte sein ganzes Geld bis auf sechzehn Dollar unten in dem brandgeschwärzten Cañon, kühlte gerade ab unter einem brandgeschwärzten Stein. Fleisch, sie brauchten Fleisch für einen Eintopf - und beim Gedanken daran, an Eintopf, spürte er, wie sich seine Speicheldrüsen zusammenzogen.
    Genau in diesem Augenblick, als wäre es vorherbestimmt, tauchte die Katze wieder auf, elegant und fordernd, einen grauen Fuß auf die Schwelle gesetzt. »Miau«, machte die Katze. »Miez, Miez«, sagte Cándido. »Komm her, Miez.«

5
    Es sah nicht gut aus. Zu beiden Seiten der Straße war alles schwarz, die Hartlaubsträucher waren verschwunden, die Bäume verbrannt. Kyra fuhr aus der normalen Welt hinein in eine Todeszone, wo das Unterholz so vollständig vernichtet worden war, daß man hätte meinen können, ein Bulldozer hätte alles plattgewalzt, wenn nicht da und dort ein krebsartiges Gewirr von verkohlten Strünken aufgeragt hätte und überall diese blaßgraue Asche gewesen wäre, die alles überzog und auch jetzt noch, zwei Tage später, Hitze abstrahlte. Die Bäume, die überlebt hatten - Eichen zumeist -, waren bis hinauf in ihre entlaubten Kronen versengt, und die Bäume an den Rändern der Feuerschneise waren auf der einen Seite schwarz und auf der anderen noch grün. Kyra hielt den Atem an, als sie um die letzte Kurve fuhr und einen ersten Blick auf die verbogenen Überreste des Da-Ros-Tors warf.
    Sie trug Jeans und Turnschuhe, auch an Arbeitshandschuhe hatte sie gedacht, und nun stieg sie aus dem Wagen, um nachzusehen, ob sich das Tor mit der Hand öffnen ließ. Aber was davon übrig war, bewegte sich keinen Zentimeter. Sie sah, daß das Feuer die Einfahrt hinaufgefegt war, die Erde ausgeglüht und die Bäume niedergemäht hatte und daß das Tor mit seinen geschmiedeten Ornamenten und den Eisenspitzen ihm keinerlei Einhalt geboten hatte. Das Tor war schief und verbogen, der Lack war geschmolzen, und die Räder waren in den Bodenschienen festgeklemmt. Mit dem Wagen kam sie unmöglich auf das Grundstück: sie würde zu Fuß gehen müssen.
    Mehr als alles andere - mehr als der beißende Geruch in der Luft und der Anblick der zu Asche gewordenen vollendeten Gartengestaltung - erschreckte sie die Stille rings herum. Sie war das einzige Lebewesen unter der Sonne, jeder ihrer Schritte hinterließ einen Abdruck, als stapfte sie durch Schnee, und sie hörte das leise Knarren der Sohlen unter ihren Füßen. Keine Eidechse, kein Eichhörnchen huschte über den Weg, kein Vogel belebte die Stille. Sie stählte sich für das, was kommen mußte.
    Es war nicht ihr Haus, nicht wirklich, sagte sie sich immer wieder, und sie würde nicht die einzige sein, die mit dem Verlust fertigwerden mußte. Am späten Abend, wenn es in Italien Morgen war, würde sie Patricia Da Ros anrufen und ihr mitteilen, was passiert war. Selbst wenn der Brand das Haus wie durch ein Wunder verschont hatte - so etwas geschah durchaus, diese Buschfeuer waren so launisch wie die Winde, die sie anfachten: ein Haus brannte völlig ab, und das daneben blieb unversehrt -, würde es schwer zu verkaufen sein. Schon drei Kunden hatten angerufen, um sich aus bereits abgeschlossenen Kaufverträgen für Häuser in den Hügeln wieder

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