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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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konnte er immer nur an América denken. Dreimal war er bislang aufgegriffen worden - einmal in L. A., einmal in Arizona, und dann mit América, in Tijuana, gleich hinter dem Grenzzaun -, und die Angst davor raubte ihm den Atem und drehte ihm gleich noch einmal den Magen um. Seinetwegen machte er sich keine Sorgen, sondern um sie. Er würde es überstehen. Eine ärgerliche Sache, sicherlich, die Busfahrt zur Grenze, und sein karger Besitz wäre vom Winde verweht - aber wie sollte er je zu seiner Frau zurückfinden? Zweihundertfünfzig Kilometer und kein Geld, keinen Cent. Vielleicht wurde er auch verprügelt. Die gabachos konnten brutal sein - große Kerle mit dünnen blonden Schnurrbärten und mit Haß in den Augen -, aber normalerweise langweilten sie sich nur und erledigten ihren Dienst. Prügel konnte er aushalten - sogar jetzt, sogar mit dem wunden Gesicht und dem kaputten Arm und dem Dünnpfiff in den Därmen -, aber um América zitterte er.
    Was würde mit ihr geschehen? Wie sollte er sie je wiederfinden? Wenn sie sie schon aufgegriffen hatten - bei der Arbeitsvermittlung oder auf dem Rückweg von dort -, dann saß sie vielleicht bereits in einem Bus. Und schlimmer noch: wenn sie sie nicht gefaßt hatten und sie zum Lager zurückkehrte, aber ihn nicht antraf, was dann? Sie würde glauben, er hätte sie im Stich gelassen, sich aus der Verantwortung gestohlen wie ein aufgescheuchter Hahn, und welche Liebe hielt so etwas aus? Sie hätten einen Notfallplan vereinbaren sollen, eine Verabredung irgendwo in Tijuana, ein geheimes Zeichen ... aber das hatten sie nicht getan. Er horchte auf die Stimmen und preßte die Zähne zusammen.
    »He, Alter, sieh dir das hier mal an ...«
    »Was?«
    »Was ist das denn für eine Scheiße?«
    Aber Moment mal - das waren nicht die Stimmen von Einwanderungsbeamten, von Polizisten, von Erwachsenen ... nein, da lag etwas in ihrem Tonfall, ein harter, ruppiger Klang der Worte, als würden sie ersticken und nach Luft schnappen, etwas Pubertäres ... Cándido schob sich behutsam in eine sitzende Haltung, zog sich die Hose wieder hoch und kroch auf Händen und Knien an eine Stelle, von der er unbemerkt zwischen den Felsen hindurchspähen konnte. Was er sah, ließ ihn wieder Luft schöpfen. Zwei Gestalten ohne Uniform. Übergroße Shorts, Basketballschuhe, schwarze weite T-Shirts, bleiche Beine und Arme, die in der Sonne blitzten, während sich die Burschen über seine Sachen beugten, sie hoch über den Kopf schwenkten und dann, ein Stück nach dem anderen, in den Bach schleuderten. Zuerst die Decke, dann den Grill, den er aus einem weggeworfenen Kühlschrank herausgenommen hatte, dann seinen Rucksack mit Kamm, Zahnbürste und ein bißchen Kleidung zum Wechseln darin, und schließlich auch Américas Sachen.
    »Scheiße, Mann, da ist 'ne Braut dabei«, sagte der größere der beiden und hielt Américas Alltagskleid hoch, blauer Baumwollstoff, so oft gewaschen, daß er schon fast weiß war. In diesem Augenblick bestätigte sich für Cándido, was sein Ohr schon geahnt hatte; das waren keine Männer, das waren Jungs, übergroße Jungs. Der mit dem Kleid in der Hand stand direkt vor ihm, ragte hoch auf, mindestens eins fünfundachtzig, schlaksige Arme und Beine, kahlrasiert bis über die Ohren und mit langem gabacho -farbenem Haar weiter oben - rothaarig, warum mußten sie immer rothaarig sein?
    »Scheißbohnenfresser. Zerreiß es, Mann. Mach es kaputt.« Der andere war kleiner, dafür aber breiter in den Schultern und um die Brust, und er hatte diese glasigklaren Katzenaugen, die so viele Gringos von ihren Müttern erbten, diesen Frauen aus Schweden und Holland oder so. Sein Gesicht war schmal und bösartig, das Gesicht eines Insekts unter der Lupe - nichtssagend von weitem, tödlich aus der Nähe. Der größere der beiden zerriß das Kleid, knüllte die Hälften zusammen und warf sie dem anderen zu, und dann sprangen sie johlend im Bachbett auf und ab wie Affen, die gerade von den Bäumen gehüpft waren. Bevor sie wieder abzogen, packten sie sogar die schweren Steine, aus denen Cándido eine Feuerstelle gebaut hatte, und wuchteten sie ebenfalls in den Bach.
    Cándido wartete fast eine halbe Stunde, bevor er sich herauswagte. Ihr obszönes Gekreische war noch eine Weile lang von den Wänden der Schlucht zurückgeworfen worden, bis es sich mit dem fernen Rauschen des Verkehrs vermischt hatte und allmählich verklungen war. Wieder drehte sich ihm der Magen um, und er mußte sich vor Schmerzen

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