América
überwältigen, und es war läuternd und reinigend, ein Augenblick der Befreiung, der sie stärken und stützen würde. Jedenfalls glaubte sie das.
Um Viertel nach elf fuhr sie bei dem Objekt vor, das sie präsentieren sollte - das Haus der Matzoobs, ein großer, luftiger Bau, mit einem Foyer aus Marmor, sechs Schlafzimmern, Swimmingpool, Dienstmädchenzimmer und Gästehaus, vor zwei Jahren eins Komma eins wert, jetzt stand es mit achthunderttausend in der Liste, mit Glück ging es für sechshundertfünfzigtausend weg -, und als erstes fiel ihr die Wasserpfütze auf der vorderen Veranda auf. Pfütze? Ein Teich war das, ein ganzer See, und seine Tiefe zeigte nur allzu deutlich, wie uneben der Fliesenboden war. Leise verfluchte sie den Gärtner. Da mußte ein Rasensprenger defekt sein, irgendwo unter den Sträuchern - ja, da war er -, und als die Zeituhr die Wasserzufuhr ausgelöst hatte, war hier bestimmt ein wahrer Niagarafall geflossen. Sie würde wohl in der Garage nach einem Besen suchen müssen - sie konnte die Käufer schlecht durch einen Teich ins Haus waten lassen, außerdem würden sie dann merken, wie die Fliesen hochkamen und sich die Veranda in den Garten neigte. Und dann mußte sie diesen Gärtner anrufen. Wie hieß er noch - sie hatte es irgendwo in ihrem Buch notiert, er war nicht von der Firma, die sie sonst immer nahm, sondern ein Selbständiger, auf den die Matzoobs geschworen hatten, bevor sie nach San Bernardino gezogen waren - Gutiérrez? Gonzales? Oder so ähnlich.
Für Inkompetenz hatte Kyra nichts übrig, und nichts anderes war es, das ihr hier entgegenstarrte. Wie dieser Gärtner Woche für Woche herkommen konnte, ohne etwas so Auffälliges wie eine fünf Zentimeter tiefe Pfütze auf der Veranda zu bemerken, begriff sie einfach nicht, und der blanke, unverfälschte Zorn darüber ließ sie vorübergehend Sacheverell vergessen und sich auf das momentane Thema konzentrieren, auf ihr Geschäft, auf das Vermitteln von Immobilien. Ihr entging nichts. Kein Riß im Putz, kein Schimmelfleck hinter der Topfpalme, kein Geruch, der nicht genau so war, wie er sein sollte.
Gerüche waren der Schlüssel. Ein Haus ließ sich zu drei Vierteln danach beurteilen, wie es roch - Zustand, Sauberkeit, was die Besitzer für Leute waren, ob es durch das Dach regnete oder ob der Keller feucht war. Am allerschlimmsten waren dieser tote, grabkammerartige Geruch eines leerstehenden Hauses, der an Bestattungsinstitute erinnerte, und alles, was nach Fäulnis oder Chemikalien oder auch nur nach Farbe stank. Küchengerüche waren absolut tabu. Ebenso der Gestank von Haustieren. Einmal - einer ihrer wenigen Fehlschläge - hatte sie ein Haus auf der Liste, in dem eine alte Dame inmitten ihrer zweiunddreißig Katzen gestorben war, die jeden möglichen Fleck des Hauses bepißt, angeschissen und markiert hatten, einschließlich der Zimmerdecken. Die einzige Hoffnung für das Haus bestand im Niederbrennen.
Und als Kyra jetzt das Haus der Matzoobs betrat, schloß sie gleich die Tür hinter sich und schnupperte erst einmal ausführlich. Dann atmete sie aus und nahm noch einen Zug, wobei sie auf jede Nuance achtete, wie ein wahrer Connaisseur. Nicht schlecht. Ganz und gar nicht schlecht.
Vielleicht schwang da ein Hauch vom Bratfett irgendeines längst vergessenen Essens mit, der leise Duft nach Hund oder Katze, möglicherweise auch nach Mottenkugeln, aber sicher war sie nicht. Wenigstens war das Haus leer - als es vor acht Monaten zum erstenmal auf dem Markt angeboten wurde, hatten die Matzoobs noch darin gewohnt, und die Korridore, Wandschränke und Badezimmer waren von ihrem speziellen Geruch getränkt gewesen. Und wenn sie diesen Geruch »speziell« nannte, war das keineswegs wertend gemeint - nur beschreibend. Jede Familie, jedes Haus besaß ein ganz eigenes Aroma, so individuell und einmalig wie ein Fingerabdruck.
Im Matzoob-Haus war es ein üppiges Gemisch von Gerüchen gewesen, vom Duft der frischen Schnittblumen, die Sheray Matzoob so sehr liebte, über den würzigen Hauch von Knoblauch und Koriander, die Joe Matzoob in seinen Gourmet-Kochkursen zu verwenden gelernt hatte, bis zu den muffelnden Sportsocken von Matzoob jr., dem Basketballstar. Es war ein heimeliger Geruch, aber zu komplex, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Und die Möbel waren ein Alptraum. Große, wuchtige Stücke in einem dunklen Farbton, der an Ebenholz erinnerte und das bißchen Licht zu absorbieren schien, das durch die dicken, deckenartigen
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