América
Vorhänge drang, die Sheray Matzoob von ihrer Mutter geerbt hatte. Und die Porträtgalerie war eine Klasse für sich: mächtige, miserable, primitive Gemälde, auf denen die Matzoobs wie Zombies aussahen, mit vergoldeten Rahmen und die Ölfarbe so dick, als wäre sie mit dem Buttermesser aufgetragen.
Aber jetzt war das Haus leer, und das war Kyra nur recht. Hie und da bekam man einmal ein Objekt mit so exquisiter Einrichtung, daß man die Verkäufer bat, alles drin zu lassen, bis sich ein Käufer gefunden hatte, aber das war selten. Die meisten Leute hatten keinen Geschmack.
Nicht die Bohne. Nicht mal ansatzweise. Und doch glaubten alle, sie hätten Geschmack - waren sogar noch stolz darauf -, und liefen gleich rückwärts zur Tür hinaus, nur weil eine Lampe vom Stil her nicht paßte oder die Farbe eines flauschigen Teppichs ihnen nicht zusagte. Alles in allem hatte es Kyra lieber so wie hier - neutrale Räume, bis aufs Notwendigste ausgeräumt: Wände, Böden, Decken, Steckdosen und Armaturen. Ein leerstehendes Haus wurde in gewisser Hinsicht ihres - es stand einsam und verwaist da, man hatte es ihr überlassen, ihr allein, und bisweilen waren die Verkäufer in einen anderen Bundesstaat oder ins Ausland gezogen -, und sie fühlte sich unwillkürlich als Besitzerin. Manchmal, wenn sie bei ihren Häusern die Runde machte - momentan hatte sie sechsundvierzig Objekte, und über die Hälfte davon stand leer -, fühlte sie sich wie die Königin eines Zauberreichs, eines Landes mit hohen Bogengängen, offenstehenden Räumen und Swimmingpools, die einen Binnensee gebildet hätten, wenn man sie nebeneinander aufgereiht hätte.
In der Garage stand ein Besen - praktisch der einzige Gegenstand dort, wenn man von den zwei Mülltonnen und einer Rolle fester Plastiksäcke absah. Kyra fegte das Wasser von der Veranda und ging dann in das zum elterlichen Schlafzimmer gehörige Bad, um sich frisch zu machen, bevor Sally Lieberman von der Agentur Sunrise mit ihren Käufern eintraf. Das Bad war altmodisch, leider, die schreiend bunten Kacheln mit einem winzigen gelbgrünblauen Vogelmotiv, dazu die auf alt getrimmten Armaturen aus falschem Messing und die Handtuchhalter aus Kristallglas, die dem Raum die Atmosphäre der Damentoilette in einem mexikanischen Restaurant verliehen. Was soll's, jeder nach seinem Geschmack, dachte Kyra, und dann betrachtete sie sich im Spiegel.
Es war schockierend. Sie sah schrecklich aus. Ausgezehrt, ungepflegt, verzweifelt, wie die gestreßte Gastgeberin einer Tupperware-Party. Das Problem war ihre Nase. Eigentlich war es natürlich Sacheverell und die Nacht, die sie hinter sich hatte, aber all die Trauer, Schwermut und Erschöpfung dieser Prüfung zeigte sich, ja verkörperte sich in ihrer Nase. Die Spitze war rot - knallrot, flammendrot -, und wenn ihre Nasenspitze rot war, schien sie ihr ganzes Gesicht in einen verrückten Strudel hineinzureißen, machte sie zu einer Art Horrorlady mit Schrumpfkopf. Seit ihrer kosmetischen Nasenoperation mit vierzehn neigte dieser Körperteil dazu, ihr in Zeiten der Anspannung den Dienst zu versagen. Was immer der Chirurg versucht hatte - den Knochen ein Stück abschälen, da oder dort etwas wegschneiden -, die Nase war immer ein bißchen blasser als Wangen, Kinn und Stirn, nahm dafür aber viel rascher Farbe an. Irgendwie sah sie fast immer sonnenverbrannt aus. Und wenn sie eine Erkältung oder Grippe hatte, wenn sie aufgeregt, deprimiert oder überarbeitet war, glühte sie mitten in ihrem Gesicht wie etwas, das man eigentlich auf der Spitze eines Weihnachtsbaums erwartet hätte.
Mit so einer Nase verkaufte man keine Grundstücke. Aber wozu sich lange Gedanken machen? Sie nahm die Puderdose heraus und ging an die Arbeit.
Als sie ihrem Gesicht gerade den letzten Schliff gab, hörte sie Sally Lieberman an der Vordertür flöten: »Wir sind da!«
Sally war Mitte Vierzig, zog sich an, als wäre sie die Besitzerin des Ladens, trainierte im Fitnesscenter, ein echter Profi. In den letzten zwei Jahren hatte Kyra sechs Objekte über sie vermittelt, und sie war mit Sallys Leistungen sehr zufrieden. Diesmal allerdings ließen die Käufer zu wünschen übrig. Sie blieben an der Tür stehen und wirkten mürrisch und schwer zufriedenzustellen. Sally stellte sie als Gerald und Sue Paulyman vor. Er hatte lange Strubbelhaare, war unrasiert und trug Bluejeans, die verwaschen und abgetragen wirkten, und sie hatte sich rosa und schwarze Perlen ins Haar geflochten. Aus Erfahrung
Weitere Kostenlose Bücher