Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
wußte Kyra, daß der erste Eindruck bisweilen trog - einmal hatte sie eine Siebzigjährige gehabt, die wie eine Obdachlose herumlief, aber am Ende einen Scheck über zwei Komma sieben Millionen für ein Anwesen in Gold Canyon ausstellte -, die zwei sahen jedoch nicht gerade vielversprechend aus. Vielleicht waren es ja Musiker oder Drehbuchautoren fürs Fernsehen, dachte sie und hoffte das Beste. Irgend etwas mußte wohl für sie sprechen, sonst hätte Sally sie nicht angebracht.
    »Was hat denn der feuchte Fleck da auf der Veranda zu bedeuten?« wollte der Mann wissen und sah ihr direkt in die Augen. Seine heisere Stimme hatte einen jammervollen Ton.
    Ausweichen durfte man solchen Fragen nicht - ausweichen funktionierte nicht. Selbst der höflichste Kunde dachte dann, man wollte ihm einen Bären aufbinden, und so ein Kunde fraß einen bei lebendigem Leibe. Kyra ließ ihr Lächeln aufblitzen. »Ein defekter Rasensprenger. Ich habe den Gärtner deshalb schon angerufen.«
    »Aber die Veranda hat totale Schräglage!«
    »Wir bieten eine einjährige Gratisversicherung für Bauschäden auf jedes Haus, das wir vermitteln.«
    »Diesen Teppich hier kann ich einfach nicht fassen«, sagte die Frau.
    »Und sieh dir das an!« nölte der Mann und schob sich an Kyra vorbei ins Wohnzimmer, wo er in die Knie ging und mit dem angefeuchteten Zeigefinger über die Bodenleiste fuhr. »Da blättert ja die Farbe ab.«
    Kyra kannte diesen Typus. Ganz eindeutig die Sorte Nur-mal-gucken - unflätige, mufflige, verachtenswerte Menschen, die sich glatt zweihundert Häuser zeigen ließen und dann doch einen Wohnanhänger kauften. Kyra zog ihre Nummer ab - das Geschäft des Jahrhunderts, so viel Platz, die Handwerkskunst der alten Welt, vom Vorbesitzer kaum bewohnt -, reichte ihnen eine Broschüre mit einem Hochglanzfoto des Hauses auf dem Deckblatt und ließ sie dann auf eigene Faust herumwandern.
    Um zwei hatte sie Kopfschmerzen. Nichts bewegte sich, nirgendwo, keine Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter, und zu dem Tag der offenen Tür, den sie für das neue Objekt in West Hills auf ihre Kosten angesetzt hatte, waren nur sechs Leute gekommen - der ganze Chardonnay, Brie und das dänische Laugenbrot umsonst angekarrt, ganz zu schweigen von der halben Platte mit vegetarischen Sandwiches, Shrimps und Lachs-Sushi. Den Rest des Nachmittags verbrachte sie im Büro, formulierte Annoncen, erledigte Papierkram und Telefonate, endlose Telefonate. Selbst drei extrastarke Kopfschmerztabletten richteten kaum etwas aus gegen das Pochen in ihren Schläfen, und hinter jedem Blatt, das Sie vom Schreibtisch aufhob, sah sie Sacheverell als Welpen, wie er einem Papierbällchen hinterher jagte, als hinge sein Leben davon ab. Um fünf rief sie Delaney an, um zu fragen, wie Jordan es hinnahm - ganz gut, sagte Delaney, er sei so gefesselt von seinem Nintendospiel, daß er einen Hund nicht von einem Huhn unterscheiden könne -, und dann machte sie früh mit der Arbeit Schluß, um ihre Häuser abzuschließen und nach Hause zu fahren.
    Der Parkplatzwächter reichte ihr die Schlüssel mit einem Lächeln, das alle seine Zähne entblößte, und verbeugte sich scherzhaft fast bis zum Boden. Er war ein junger Latino mit zurückgekämmtem öligem Haar und tanzenden Augen, der ihr immer ein gutes Gefühl vermittelte, und obwohl es eine Kleinigkeit war und sie wußte, daß es zu seinem Job gehörte, die Damen bei Laune zu halten, lächelte sie unwillkürlich zurück. Dann saß sie im Auto, und der Rest der Welt war draußen. Sie schaltete das Autotelefon aus, schob eine ihrer Entspannungskassetten in den Schlitz in der Konsole - am Strand anbrandende Wellen, in die zur Abwechslung dann und wann der kehlige Schrei einer Seemöwe eingestreut war - und glitt geschickt in den Verkehr hinein, der auf der Schnellstraße vor dem Büro tobte.
    Verkehr war Verkehr, er machte ihr überhaupt nichts aus. Sie bewegte sich mit ihm, saß in ihm, ließ sich von seinem unergründlichen Fluß treiben. Der Wagen war ihre Zufluchtsstätte, und solange das Telefon abgeschaltet war und die Wellen zwischen den vorderen und hinteren Lautsprechern hin und her wogten, konnte ihr nichts etwas anhaben. Wie sie so dasaß, eingeschlossen zwischen Wolken von Auspuffgasen, fühlte sie sich langsam besser.
    Siebenmal pro Woche war sie dafür verantwortlich, fünf Häuser abends abzuschließen und morgens wieder aufzusperren, damit ihre Kollegen sie den Kunden vorführen konnten. Es waren die Häuser, für

Weitere Kostenlose Bücher