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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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die sie die Schlüssel hatte, und obwohl jedes einen kleinen Schlüsseltresor besaß, mußte sie überprüfen, ob alle über Nacht gesichert waren - unzählige Male schon hatte ein sorgloser Makler irgendwo ein Fenster oder sogar eine Tür offengelassen -, und die Karten ihrer Kollegen einsammeln, die mit Interessenten dort gewesen waren. Dadurch verlängerte sich ihr Arbeitstag um eine gute Stunde, aber es beruhigte die Verkäufer, und sie konnte die Karten zu Hause noch ein wenig durcharbeiten, während Delaney das Abendessen und Jordan seine Hausaufgaben machte. Und fünf Häuser waren nichts - in den Jahren des Booms waren es zwölf oder dreizehn gewesen.
    Die ersten vier erledigte sie quasi mechanisch - zur Tür hinein, die Lampen aus, die Zeitschaltuhren überprüfen, den Alarmcode einschalten und abschließen, Schlüssel in den Tresor -, aber bei der letzten Adresse, dem Haus der Da Ros, ließ sie sich Zeit. Es war ein Haus, in dem man sich verlieren konnte, ein Haus, das ihre übrigen Objekte wie Bungalows aussehen ließ. Von allen Häusern, die sie je verkauft hatte, war dies das eine, das wirklich zu ihr sprach, die Art Haus, die sie haben würde, wenn sie mit Vierzig bei Mike Bender ausstieg und ihr eigenes Büro eröffnete. Es stand auf einer hohen Kuppe über dem Cañyon, am Ende einer Privatstraße, mit ungehinderter Sicht auf den Pazifik auf der einen Seite und dem langen grünbraunen Rückgrat der Santa Monica Mountains auf der anderen. Weiter unten wucherten dicht an dicht wie eine Art Pilz am Berghang die hellroten Ziegeldächer von Arroyo Blanco.
    Es hatte zwanzig Zimmer, jedes so angelegt, daß die Aussicht ideal zur Geltung kam, es verfügte über eine Bibliothek, ein Billardzimmer, einen Dienstbotentrakt, einen gepflegten Garten mit Fischteich. Insgesamt bot das Haus gut tausend Quadratmeter Wohnraum, eingerichtet im Stil eines englischen Landhauses, mit hoch aufragenden Kaminen, Steinmauern und einem rotbraun und grün gefärbten Dach, das Alter und Würde vortäuschte, auch wenn das Haus erst 1988 errichtet worden war. Auf dem Markt war es wegen eines Selbstmords: Kyra vertrat die Witwe, die seit dem Begräbnis in Italien lebte.
    Ihr Kopfweh war verflogen, aber dafür wurde sie von einer Müdigkeit überwältigt, die viel tiefer ging als jede körperliche Erschöpfung, einer Niedergeschlagenheit und einem Unbehagen, das sie einfach nicht abschütteln konnte. Alles nur wegen eines Hundes? Es war lächerlich, das wußte sie. Irgendwo durchstöberten Menschen Müllkippen nach einem Bissen zu essen, standen auf der Straße um Arbeit Schlange, hatten ihre Häuser, Kinder, Ehegatten verloren, hatten echte Probleme und echten Kummer. Was war nur los mit ihr?
    Vielleicht lag es an ihren Prioritäten, war es das? Wozu lebte sie denn? Um Geschäfte abzuschließen? Um Mike Bender reicher zu machen? Dafür zu sorgen, daß Herr und Frau Soundso ihr Traumhaus fanden oder loswurden, mieteten oder kauften, während rings herum die Welt zusammenbrach, Hunde starben und ihr, wenn sie Glück hatte, pro Tag höchstens anderthalb Stunden Zeit für ihren Sohn blieb? Sie blickte sich um, und es war, als erwachte sie aus einem Traum: der flammendrote Himmel, die lodernden Türmchen über ihr. Reglos stand sie auf der gefliesten Einfahrt von Patricia Da Ros' mächtiger Arche von einem Haus, und in diesem Augenblick hatte sie, ganz kurz nur, eine Vision ihres eigenen Endes: zur letzten Ruhe gebettet in Minirock, Stöckelschuhen und maßgeschneiderter Kostümjacke, ein Bündel notarielle Formulare in der Hand.
    Sie versuchte das Bild abzuschütteln. Versuchte sich zu sagen, ihre Tätigkeit sei wichtig, notwendig, ja sogar altruistisch - was war dem Menschen, nach Nahrung und Sex, denn wichtiger als eine Unterkunft? -, doch die Wolke hob sich nicht von ihr, und sie fühlte sich ganz taub, vom Scheitel bis zur Sohle. Sie streifte ein wenig im Garten herum und sah nach, ob alles in Ordnung war - ganz aus alter Gewohnheit -, aber hier war von Nachlässigkeit keine Spur zu entdecken, denn hier arbeitete ihr eigener Gärtner, und der wußte genau, was von ihm erwartet wurde. Alles war ruhig. Die Zierkarpfen standen ruhig am Grund des Teiches, und die Rasenflächen schimmerten unter dem sanften, gleichförmigen Nebel der Sprenger.
    Es war Viertel nach sechs und immer noch warm - unangenehm warm -, aber es wehte ein Wind vom Meer, und Kyra sah einen Nebelstreifen, der sich vom Wasser tief unten emporschlängelte. Der Abend

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