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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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durch, ebenso wie unsere zwei ausdauernden Vertreter der Rosazeenfamilie, Chamiso (Adenostoma fasciculatum) und Rotstammstrauch (Adenostoma sparsifolium). Zähe Burschen sind das. Sie deponieren Toxine im Boden, um die Keimung von Konkurrenzgewächsen abzuwehren, und ihre holzigen Stämme weisen einen hohen Harzgehalt auf, um damit die zyklisch auftretenden Buschfeuer zu unterhalten, die ihnen gestatten, sich zu regenerieren. Bis November oder Dezember fällt kein Regen mehr - auch sonst gibt es keinerlei Feuchtigkeit, bis auf das bißchen, das die Morgennebel vom Meer herübertragen. Aber da sind sie, halten die Stellung wie eine Armee, die sich gegen die Sonne verschworen hat.
    Übernachten werde ich nicht auf dem vorgeschriebenen Zeltplatz (Musch Ranch), sondern an einer abgeschiedeneren Stelle nahe des Santa Ynez Canyon Trail, zwischen mir und terra firma nichts weiter als eine Schaumstoffmatte und eine alte Armeedecke. Unerwünschte Bettgenossen sind im Freien natürlich immer ein Problem: ganz oben auf der Liste stehen hier die Klapperschlangen, und auch gewisse übergroße Mitglieder der Klasse der Arachniden - insbesondere Taranteln und Skorpione - können einen irritieren.
    Ein Freund sagte mir kürzlich im Scherz, der Skorpion habe seine Zangen nur entwickelt, um die große Zehe eines ahnungslosen homo sapiens gut packen und für einen eleganten wirkungsvollen Stich über den Kopf recht weit ausholen zu können. Wenn man so einen Skorpion betrachtet, wie er in der Öffnung seines Baus lauert oder im Licht unserer Taschenlampe davonwuselt, könnte man solcherlei fast für bare Münze nehmen. Doch wie jedes andere Wesen der Schöpfung ist auch der Skorpion auf seine Weise wunderschön - und eben auch wunderbar angepaßt für das Ergreifen, Lähmen und Verzehren seiner Beute. (Ich habe einmal zwei von ihnen in einem Glas gehalten - in einem Senfglas, nebenbei gesagt - und sie mit Spinnen gefüttert. Obwohl der eine nur halb so groß war wie der andere, schienen sie aufs Friedlichste miteinander auszukommen, bis ich für eine Woche verreiste. Bei meiner Rückkehr saugte der größere gerade die Lebenssäfte aus dem kleineren, der nun frappierend an einen winzigen Luftballon in Skorpionform erinnerte, dem man die Luft herausgelassen hatte.)
    Aber deshalb bin ich ja hier, statt zu Hause im Sessel zu sitzen, mit einem Buch im Schoß: um nicht nur die selbstverständlichen Freuden und Gewißheiten der Natur zu genießen, sondern auch ihre Unwägbarkeiten. Es ist ein schwindelerregendes Gefühl, die Art Gefühl, die einem versichert, daß man am Leben ist und atmet und zum großen Weltenplan gehört, wenn man aus derselben Quelle trinkt wie der Rotschwanzbussard, der Großohrhirsch, der Tausendfüßer und auch der Skorpion.
    Es dunkelt schon, während ich am Ausgang eines Cañyons, neben einem plätschernden Wasserfall, meine Decke ausbreite und es mir bequem mache, um die Nacht rings herum heraufziehen zu sehen. Meine Mahlzeit ist bescheiden: ein Apfel, eine Handvoll Studentenfutter, ein Sandwich mit Schweizer Käse und ein langer, durstiger Schluck agua pura aus der Lederflasche. Von irgendwoher aus der Tiefe des Raums unter mir ertönt der leise, beinahe scheue Ruf der großen Sumpfohreule - eigentlich eher ein Gurren - und wird kurz darauf von einem gleichermaßen zagen Ruf aus östlicher Richtung beantwortet. Inzwischen hat die Nacht sich durchgesetzt und ein Stern nach dem anderen löst sich aus dem Dunst. Eine Stunde vergeht. Zwei. Ich warte auf etwas - worauf, weiß ich nicht, aber wenn ich die schimmernden Beweise unserer allgegenwärtigen Zivilisation herausfiltern kann (die pausenlos auf ihren Routen dahinsausenden Passagierflugzeuge, der Lichtsmog im Osten, der den Himmel erglühen läßt, als flimmerte dort bereits das erste Licht des Morgens), dann spüre ich, daß all dies für mich da ist, zumindest heute nacht.
    Und dann höre ich es, ein hohes, gezogenes glissando von Tönen, das ich für eine Sirene gehalten hätte, wüßte ich es nicht besser, und mir wird klar, daß ich die ganze Zeit genau darauf gewartet habe: den Chor der Coyoten. Das Lied des Überlebenskünstlers, des schelmischen Räubers und vierbeinigen Wunderknaben, der Wasser findet, wo keins ist, und auch in Fels und Ödnis allzeit sattsam speist. Er ist jetzt dort draußen, begrüßt die Dunkelheit, sammelt seine Kräfte und seine Heerscharen, er jagt und schleicht und stiehlt sich wie ein Schatten durch die Büsche um mich herum,

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