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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Bachbett entlangtasteten und die Plastiktüte mit Einkäufen von der Beuge seines verletzten Arms baumelte. Er atmete schwer, und alles tat ihm weh, aber zum erstenmal seit dem Unfall fühlte er sich beschwingt und hoffnungsfroh. Er war fast wieder gesund, und am nächsten Morgen würde er den Berg hinauf zur Arbeitsvermittlung gehen. América hatte Geld verdient, morgen würde sie noch mehr verdienen, gleich würden sie sich den Bauch vollschlagen, um danach auf der Decke in dem Unterschlupf miteinander zu schlafen, vor aller Welt verborgen. Als erstes würden sie Sardinen mit Weißbrot essen, während das Feuer langsam Glut sammelte und das Hackfleisch in der Tiefe des Topfes zischte und brutzelte, und dann würden sie die Tortillas in das heiße Fett tauchen, um den ersten Hunger zu stillen, das Fleisch würde die Grundlage für den Eintopf bilden, den sie dann um elf oder auch erst um Mitternacht dampfend in die Tassen füllen würden. Das alles.
    Er konnte den Weg mit den Fingern ertasten, die Nacht war pechschwarz, ohne Mond, nur dieser häßliche gelbe Stadthimmel, der sich wie ein Deckel über ihre Köpfe stülpte. Der Bach rauschte über die Steine, irgendein Wesen schlug in der Dunkelheit mit den Flügeln und flatterte durch die Bäume. Er bezwang seine Angst vor Klapperschlangen und marschierte weiter, versuchte die Erinnerung an das fette, gewundene, peitschenartige Ding zu verdrängen, das ihm im letzten Monat hier in der Nähe über den Weg gekrochen war, und auch an die mala suerte, das Pech, das er heraufbeschworen hatte, weil er die Schlange umgebracht, abgehäutet und gebraten hatte. Wo war ihr Partner? Ihre Mutter? Die Mutter ihrer Mutter? Er gab sich Mühe, nicht daran zu denken.
    Als sie zu dem Tümpel kamen, sagte er América, sie müsse sich jetzt ausziehen, und sie kicherte und schmiegte sich an ihn, strich mit den Lippen über seine Wange. Nur undeutlich erkannte er die helle Form ihres Gesichts vor dem Nichts ihres Haars und ihrer Kleider. Das Wasser war schwarz, die Bäume waren schwarz, die Wände des Cañons waren schwarz wie ein Ort tief im Innern von Mann oder Frau, weit unter Haut und Knochen und allem anderen. Auf einmal war er seltsam erregt. Die Zikaden zirpten. Die Bäume raschelten.
    Cándido zog sich aus, wickelte seine Sachen zu einem Knäuel und stopfte sie in die Plastiktüte mit den Eiern. Seine Frau stand neben ihm, ganz nahe bei ihm, und er half ihr, sich im Dunkeln das Kleid auszuziehen, und dann zog er sie an sich und kostete die Schokolade auf ihren Lippen. »Zieh deine Schuhe auch aus!« riet er ihr und fuhr ihr mit der Hand das Bein hinunter bis zum Knöchel und wieder nach oben. »Es ist nicht so tief, aber am Grund ist es glitschig.«
    Das Wasser war lau, auf seinem Lauf durch den Cañon von der Sonne erwärmt, all diese gewundenen Kilometer bis hierher, zu diesem Wasserbecken, und die Luft auf ihrer nassen Haut war kühl und angenehm. Cándido tastete sich Schritt für Schritt vor, und América folgte ihm, das Wasser schwappte ihr bis an die Brüste - sie war so klein, so schmal, so eine flaca -, dabei hielt sie die Einkäufe und das zusammengeknüllte Kleid hoch über den Kopf. Nur einmal strauchelte er, genau in der Mitte. Es fühlte sich beinahe an, als risse ihm eine Menschenhand den Fuß vom Boden weg, aber es mußte wohl ein Ast gewesen sein, mit glitschigen Algen überzogen und in der Strömung schwankend, irgendein Unterwasserphänomen - jedenfalls riß er den Arm hoch, und dabei knallte die Tüte mit den Eiern gegen die Felswand wie in einer Lektion über die Zerbrechlichkeit der Materie. »Alles in Ordnung mit dir?« flüsterte América, und dann: »Die Eier? Sind sie kaputt?«
    Aber sie waren heil - bis auf zwei, und die schleckten er und América zur Stärkung aus den zerbrochenen Schalen, während er sich bückte, um das Feuer anzuzünden, und ihr stolz vorführte, wie gut der Platz war und was für eine stabile Hütte er gebaut hatte, mit dem Eingang aus Stöcken und dem mit Plastik gedeckten Dach. Der Funke fing, das Feuer flackerte auf. Er kniete im Sand und fütterte die gierigen Finger der Flammen mit Stöckchen, und der Duft von brennendem Holz versetzte ihm einen Stich der Erinnerung an zu Hause, an unzählige frühe Morgen, und er sah seine Mutter vor sich, wie sie eine Handvoll Zweige anzündete, um den Ofen in Gang zu bringen, für Maisbrei und Toast und heißen Kaffee mit Unmengen von Zucker, und dann wandte er sich vom Feuer ab und sah, wie

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