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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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langes, ergrauendes blondes Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden war, zwei metallisch blaue Scheiben als Sonnenbrille. Er trug einen winzigen Diamanten im linken Ohr. »Entschuldigen Sie?« fragte er, und Delaney sah hinter ihm den Hund auf dem Beifahrersitz hecheln.
    »Ist Ihnen klar, daß Sie das arme Tier da im Auto eingeschlossen haben, bei dieser Hitze ...?«
    Der Mann sah von Kyra zu Delaney und zurück zu Kyra. Der Parkplatzwächter war verschwunden. »Ja und?« fragte der Mann.
    »Ja und?« Kyra wiederholte seine Worte fassungslos. »Wissen Sie nicht, daß das arme Tier dabei umkommen kann? Ist Ihnen das denn vollkommen egal?«
    »Kyra«, sagte Delaney.
    Sie warf ihm einen wütenden Blick zu und ging wieder auf den Mann mit dem Pferdeschwanz los. »Deshalb könnte man Ihnen den Hund wegnehmen, ist Ihnen das klar? Der Tierschutzverein darf jedes Fahrzeug aufbrechen, völlig rechtmäßig, wenn ein Haustier darin eingesperrt ist, und ...«
    Etwas geschah mit dem Gesicht des Mannes unter den toten blauen Gläsern seiner Sonnenbrille. Der Unterkiefer schob sich vor. Die Lippen schürzten sich. »Sie können mich am Arsch lecken, Lady«, sagte er schließlich und stand starr wie eine Statue da, gab nicht nach.
    »Einen Moment mal«, sagte Delaney und trat einen Schritt vor, Hand- und Aktentasche immer noch unter den Arm geklemmt.
    Der Mann musterte ihn gelassen. Inzwischen hatte der Hund zu winseln begonnen. »Lecken Sie mich doch auch, Mister«, sagte der Mann, und dann schob er sich langsam, vorsätzlich langsam, in sein Auto, schloß die Tür und drehte das Fenster ganz hinauf. Die Zentralverriegelung schloß mit einem dumpfen Knacken. Delaney zog Kyra beiseite, und dann war der Jeep weg, hinterließ nur eine aggressive Abgaswolke.
    Kyra zitterte. Delaney ebenfalls. Er hatte sich seit der Schule nicht mehr geprügelt, und zwar aus gutem Grund - denn damals hatte er eine Niederlage einstecken müssen, eine schwere Niederlage, und die Erniedrigung hing ihm immer noch nach. »Ich fasse das einfach nicht«, sagte Kyra.
    »Ich auch nicht.«
    »Leute wie den sollte man einsperren.«
    »Ich weiß nicht, warum alle Leute immer so, so« - er suchte nach dem rechten Wort - »so häßlich sein müssen.«
    »Das ist die Großstadt«, sagte Kyra, und in dieser Aussage lag eine Bitterkeit, deren Tiefe Delaney verwunderte.
    Er wollte noch etwas dazu sagen, wollte die Sache erörtern, noch ein Bier trinken oder eine Tasse Kaffee, irgend etwas, aber sie blickte auf die Uhr und stieß einen leisen Schrei aus. »Meine Güte«, sagte sie und entriß ihm ihre Taschen, »ich muß sofort los.« Er sah ihr nach, wie sie über den Asphalt davoneilte und um die Ecke des Gebäudes verschwand, und jetzt stieg all der Kummer und Ärger wieder in ihm hoch.
    Was nun? dachte er, während er ermattet auf den Autositz sank. Er saß keine halbe Sekunde, als schon wieder irgendein Halbidiot hinter ihm hupte, und er ließ den Wagen wütend unter Mißachtung der Herstellervorschriften auf die Straße hinausschießen und donnerte den Ventura Boulevard in Richtung der Cañyonstraße hinauf.
    Er hatte eine Stinkwut im Bauch und versuchte, sich zu beruhigen. Anscheinend hatte er in letzter Zeit ständig eine Stinkwut - er, Delaney Mossbacher, der Pilger vom Topanga Creek, der doch das lässigste Leben auf Erden führte, abgesehen vielleicht von einer Handvoll tibetanischer Lamas. Er hatte eine Ehefrau, die ihn liebte, einen prachtvollen Stiefsohn, seine Eltern hatten ihm genug Geld hinterlassen, und er verbrachte den Großteil seiner Zeit damit, das zu tun, was er wirklich gern tat: schreiben, nachdenken und die Natur erleben. Was war denn eigentlich los? Was war schiefgelaufen? Nichts, sagte er sich, während er einem Wagen auswich, der verbotenerweise wendete, gar nichts. Und dann hatte er eine Idee: Der Tag war ohnehin gelaufen, also wieso fuhr er nicht direkt in die Berge? Wenn ihn das nicht beruhigte, konnte ihm gar nichts helfen.
    Es war kurz vor zwei. Er könnte zur Stunt Road fahren und in den Hügeln über dem Meer wandern gehen - Jordan mußte er erst um fünf abholen, anschließend könnten sie essen gehen. Er bog auf den Mulholland Highway ein und fuhr nach Westen, immer weiter, bis die Häuser weniger wurden und die nackten Hügel sich aus dem Chaparral erhoben, er ließ die Fenster herunter, um sich von der Hitze und dem Duft der Landschaft durchströmen zu lassen. Ausnahmsweise mußte er ohne seinen Rucksack losgehen - er hatte immer

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