América
würden sie zu Kyra Menaker-Mossbacher gehen, der Kaiserin des guten Willens.
Sie schaute kurz im Büro vorbei, und als sie den Cañyon hinauffahren wollte, sah sie, daß sie noch tanken mußte, denn um vier Uhr hatte sie einen Besichtigungstermin bei dem Haus in Monte Nido auf der anderen Seite des Berges. Ihre Lieblingstankstelle mit dem altmodischen Service, für den einem gar nicht viel extra berechnet wurde, war auf dem Ventura Boulevard Ecke Fallbrook, und deswegen mußte sie noch einmal zurück und am Restaurant vorbei - aber sie hatte genügend Zeit. Die Kaufmans erwarteten sie erst um Viertel vor drei, und so blieb ihr immer noch eine Viertelstunde, um zu Hause vorbeizufahren und nach dem Zaun zu sehen.
Sie lag gut in der Zeit, aber dennoch sollte sie sich am Ende verspäten, auch wenn sie das noch nicht wußte, als sie von der Tankstelle in östlicher Richtung losfuhr. Für Kyra gehörte dieser Abschnitt des Ventura Boulevard zu den vertrautesten Strecken der Welt, und weil es ihr Job war, hielt sie ständig die Augen nach Veränderungen offen - Restaurants, die geschlossen, Geschäfte, die neu eröffnet, Eigentumswohnanlagen, die gebaut wurden -, trotzdem erlebte sie immer wieder Überraschungen. So wie jetzt. Zwei Blocks weiter, an der Shoup Avenue, fiel ihr eine Gruppe von Männern auf, die auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt herumlungerten. Es waren Mexikaner, auf der Suche nach Arbeit. Vor etwa zwei Jahren waren die ersten aufgetaucht, aber bisher waren es höchstens eine Handvoll gewesen. Jetzt aber lungerten dort fünfzig Mann oder mehr herum, sie standen in Grüppchen auf dem Parkplatz und in einer unordentlichen Schlange bis zu der Stelle, wo die Straße unter der Schnellstraßenbrücke hindurchführte. Das war eine neue Entwicklung, die eine nähere Untersuchung erforderte, also bog sie impulsiv auf den Parkplatz ein, wobei sie zwei untersetzte, dunkelhäutige Männer fast umfuhr, die in der Einfahrt postiert waren. Die beiden wirkten keineswegs erschrocken, sondern sahen sie erwartungsvoll an.
Das machte sich nicht gut. Es waren zu viele, und dem kaufwilligen Kunden vergrämten solche Dinge leicht die ganze Gegend. Nicht daß dieser Abschnitt der Straße - ältere ein- und zweistöckige Gewerbebauten - unbedingt ihr Revier war, aber nur fünf Blocks entfernt standen Eigenheime, die auch jetzt noch für vier- bis fünfhunderttausend Dollar weggehen würden. Sie parkte vor dem Laden und beschloß, sich drinnen zu erkundigen - eine Packung Kaugummi konnte sie brauchen, vielleicht eine Cola-light.
Keiner der Männer wagte es, sich ihr zu nähern - dafür hatte der Geschäftsleiter des Supermarkts schon gesorgt -, aber alle beobachteten sie, als sie aus dem Wagen stieg, und ihre Mienen waren versonnen, stolz, gleichgültig. Wäre sie über den Platz auf sie zugegangen, hätte sich ihr Ausdruck wohl rasch geändert.
An der Kasse saßen zwei Frauen, beide Asiatinnen, beide jung. Sie lächelten Kyra an, als sie hereinkam, sie lächelten ihr nach, als sie nach hinten zum Kühlfach ging, eine Cola herausnahm und zur Kasse zurückkehrte. Sie lächelten auch, als sie sich einen Kaugummi aussuchte. »Alles gefunden, ja?« fragte die kleinere der beiden.
»Ja«, sagte Kyra. »Danke sehr.« Damit hatte sie einen Einstieg. »Da draußen stehen ja ziemlich viele Männer herum - mehr als sonst, nicht wahr?«
Die kleinere der zwei Frauen - sie hatte offenbar das Sagen - zuckte die Achseln. »Nicht mehr, nicht weniger.«
»Schlecht fürs Geschäft, nein?« fragte Kyra und verfiel dabei in den singenden Tonfall der Frau.
Wieder ein Achselzucken. »Nicht schlecht, nicht gut.«
Kyra dankte ihr und trat wieder hinaus in die Hitze. Sie wollte eigentlich zurück in die klimatisierte Frische ihres Wagens und sich auf den Weg machen, doch überlegte sie es sich anders und ging hinüber zu dem Platz, auf dem sich die Männer scharten. Jetzt blickten sie anders drein - alle starrten sie an, manche kühn, andere verstohlen. Wären sie in Tijuana, würden sie nach ihr grabschen, zotige Bemerkungen austauschen, herumjohlen und ihr nachpfeifen, hier aber trauten sie sich nicht, hier wollten sie nur den richtigen Leuten auffallen - Leuten, die billige Arbeitskräfte brauchten, für einen Tag, einen Nachmittag, eine Stunde. Sie ahnte, daß unter ihnen apokryphe Legenden kursierten, wie sich diese oder jene gutaussehende Gringa den am besten gebauten Mann für eine ganz besondere Arbeit ausgesucht hatte, und sie bemühte
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