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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sich um eine unbeteiligte Miene.
    Sie passierte das erste Grüppchen und ging auf dem Bürgersteig weiter, den Blick auf die billigen Reihenhäuser gerichtet, die sich hinter der Geschäftszeile duckten und bis zu der dichten Reihe von Pfefferbäumen erstreckten, die die Sicht auf die Schnellstraße verdeckten. Es waren heruntergekommene Wohnungen, und der Abwärtstrend hielt an, das sah sie von weitem - offene Haustüren, aus denen dunkle Männer sie anstarrten, genau die gleichen, die hier den Platz bevölkerten. In einem trocken daliegenden, vorsintflutlichen Swimmingpool blätterte die Farbe ab, die Wände waren mit Graffiti verschmiert. Sie blieb in der Mitte des Blocks stehen und wurde von einer Mischung aus Wut, Ekel und tiefer Verzweiflung übermannt. Sie sah die Dinge anders als Delaney - er stammte von der Ostküste, er verstand das nicht, er hatte nicht sein ganzes Leben hier verbracht. Jemand mußte etwas gegen diese Typen unternehmen - sie waren überall, sie vermehrten sich wie die Karnickel, und für das Geschäft bedeuteten sie den Tod.
    Sie war auf dem Weg zum Auto, und nahm sich vor, am nächsten Tag hier mit Mike Bender vorbeizufahren, damit er an den richtigen Stellen etwas Druck machen konnte, die Einwanderungsbehörde rufen, eine Polizeirazzia veranlassen, irgend etwas, ganz egal, was. Ironischerweise war die Invasion aus dem Süden für Kyras Umsätze bisher gut gewesen, weil sie die gesamte weiße Mittelschicht aus dem Stadtgebiet von Los Angeles hinaus und in die Gegenden getrieben hatte, auf die sie spezialisiert war: Calabasas, Topanga, Arroyo Blanco. Sie verkaufte immer noch Häuser in Woodland Hills - schließlich waren dort die Bürogebäude, und es galt weiterhin als durchaus begehrte, gutbürgerliche Wohngegend -, aber die wirklich schlauen Kunden hatten sich alle hinter die Stadtgrenze zurückgezogen. Im Grunde ging es um die Schulen. Im Umland gab es keine Rassenintegration per Schulbus, nur in der Stadt.
    Jedenfalls war diese Versammlung hier beunruhigend. Damit mußte Schluß sein, es mußte ein Ende haben, eine Obergrenze geben, sonst würden sie als nächstes nach Calabasas kommen, und dann nach Thousand Oaks, und immer weiter die Küste hinauf, bis keine Immobilien mehr übrig waren. Über diese Dinge dachte sie nach, keineswegs herzlos oder berechnend - jeder hatte ein Recht zu leben -, sondern aus rein geschäftlichen Gründen, während sie zum Parkplatz zurückkehrte. Einer der herumlungernden Männer ging ihr nicht aus dem Weg. Links von ihr war eine Straßenlampe, rechts ein geparktes Auto, so daß sie stehenbleiben mußte, um ihn nicht anzurempeln.
    Er sah sie an, sah ihr direkt in die Augen und lächelte. Er war keine achtzehn Jahre alt, hatte langes Haar, das mit Öl an den Kopf geklatscht war, die Hose sauber gebügelt, das Hemd bis zum Kragen zugeknöpft, obwohl es gut und gerne fünfunddreißig Grad hatte. »Sie Arbeit, Miss?« fragte er.
    »Nein«, sagte sie, »nein, danke«, und ging um ihn herum.
    »Billig!« rief er ihr nach, und auf einmal war er direkt neben ihr, heftete sich an ihren Ärmel wie etwas, das am Stoff hängengeblieben war. »Bih-te«, sagte er. »Ich alles mache.« Und dann fügte er hinzu, noch einmal, während sie den Autoschlüssel ins Schloß steckte, die Tür aufriß und in die kühle, vertraute Umgebung des lederbezogenen Innenraums flüchtete: »Billig.«
    Die Kaufmans waren gutgelaunt, obwohl sie ein paar Minuten zu spät kam, und die Zaunarbeiter verstanden ihr Handwerk. Als sie auf die Einfahrt vor dem Haus bog, stand der Kleinlaster von Al Lopez auf Delaneys Platz. Sie hatte schon oft mit Al gearbeitet, ihn über das Maklerbüro für alle möglichen Jobs angeheuert, vom Auswechseln gesprungener Küchenfliesen bis zu Klempner-, Elektriker- oder kleineren Ausbesserungsarbeiten in den Häusern, die sie gerade anbot. Wann immer es Beanstandungen gab, rief sie Al, und der verbesserte kosmetisch, was die Käufer bemängelt hatten. Es war nur logisch gewesen, daß sie sich wegen des Zaunes für ihn entschieden hatte. Nie wieder würde sie den Idioten engagieren, der den ursprünglichen Zaun hochgezogen und ihr dabei versichert hatte, zwei Meter Maschendraht seien eine absolut sichere Barriere gegen jeden Eindringling.
    Da ihr vor dem Termin um vier noch etwas Zeit blieb, führte sie Osbert zehn Minuten lang an der Leine aus und plauderte mit Al, während dessen Leute die neuen, drei Meter langen Pfosten in die Löcher der alten Pfosten

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