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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Dollar würden mir voll genügen. Nur einen lausigen Zwanziger, ja?«
    »Wo willst du denn mit einem Busticket für zwanzig Dollar hinkommen?«, fragte Shadow.
    »Hauptsache, weg von hier«, sagte Sweeney. »Um mich davonzumachen, bevor der Sturm losbricht. Fort aus einer Welt, in der Opiate zur Religion des Volkes geworden sind. Fort von …« Er brach ab und wischte sich die Nase mit der Hand ab, um diese anschließend am Ärmel abzustreifen.
    Shadow griff in seine Jeans, zog einen Zwanziger hervor und reichte ihn Sweeney. »Hier.«
    Sweeney zerknüllte den Schein und stopfte ihn tief in die Brusttasche seiner ölbefleckten Jeansjacke, die Brusttasche unter dem aufgenähten Flicken, auf dem zwei Geier auf einem abgestorbenen Ast zu sehen waren und darunter die Aufschrift GEDULD? AM ARSCH! ICH GEH JETZT IRGENDWAS UMBRINGEN! Er nickte. »Damit komme ich dahin, wo ich hinmuss«, sagte er.
    Er lehnte sich gegen die Mauer und stöberte in seinen Taschen, bis er den Zigarettenstummel fand, den er zuvor nicht zu Ende geraucht hatte. Er zündete ihn vorsichtig an, darauf bedacht, sich weder die Finger zu verbrennen noch den Bart anzuzünden. »Ich will dir eins sagen«, sagte er, als hätte er den ganzen Tag noch gar nichts gesagt. »Du wandelst auf Galgengrund. Du hast einen Strick um den Hals und auf jeder Schulter einen Raben sitzen, der auf deine Augen wartet, und der Galgenbaum hat tiefe Wurzeln, er reicht nämlich vom Himmel bis zur Hölle. Unsere Welt ist dabei nur der Ast, an dem der Strick baumelt.« Er hielt inne. »Ich ruh mich hier ein bisschen aus«, sagte er dann, indem er sich hinkauerte und den Rücken gegen das schwarze Mauerwerk lehnte.
    »Viel Glück«, sagte Shadow.
    »Scheiß rein, ich bin geliefert«, sagte Mad Sweeney. »Egal, danke jedenfalls.«
    Shadow ging zurück in Richtung Stadt. Es war jetzt acht Uhr morgens und Cairo erwachte zum Leben. Er warf einen Blick zurück zur Brücke und sah dort Sweeneys blasses, von Tränen und Dreck gemustertes Gesicht, das ihm nachblickte.
    Es war das letzte Mal, dass Shadow Mad Sweeney lebend sehen sollte.
     
    Die kurzen Wintertage vor Weihnachten waren wie Augenblicke des Lichts inmitten der Düsternis des Winters, und im Haus der Toten vergingen sie wie im Fluge.
    Es war der 23. Dezember, der Tag, an dem die Firma Jacquel & Ibis eine Totenwache für Lila Goodchild veranstaltete. Geschäftig hin und her eilende Damen belagerten die Küche mit Kübeln und Kochtöpfen, mit Bratpfannen und Tupperware. Die Verstorbene war, umgeben von Treibhausblumen, im Vorderzimmer des Bestattungsinstituts in ihrem Sarg aufgebahrt. Auf der anderen Seite des Raums stand ein Tisch, auf dem sich Krautsalat, Bohnen, Maismehlkrapfen, Hähnchen und Rippchen und Schwarzaugenbohnen stapelten. Am Nachmittag war das Haus voll, die Leute weinten und lachten und schüttelten dem Pastor die Hand, alles unter der diskreten Leitung und Aufsicht der in nüchterne Anzüge gewandeten Herren Jacquel und Ibis. Die Beerdigung war für den folgenden Morgen angesetzt.
    Als das Telefon im Flur klingelte (es war aus schwarzem Bakelit und noch mit einer echten Drehscheibe ausgestattet), nahm Mr. Ibis den Anruf entgegen. Anschließend zog er Shadow beiseite. »Das war die Polizei«, sagte er. »Können Sie eine Bergung übernehmen?«
    »Klar.«
    »Seien Sie diskret. Hier.« Er schrieb die Adresse auf einen Zettel, gab ihn Shadow, der die in gestochener Handschrift notierte Adresse kurz begutachtete und den Zettel zusammenfaltete und in die Tasche steckte. »Da wartet schon ein Streifenwagen«, fügte Ibis noch hinzu.
    Shadow ging zur Hintertür hinaus und holte den Leichenwagen. Sowohl Mr. Jacquel als auch Mr. Ibis hatten, jeder für sich, Wert darauf gelegt, ihm auseinander zu setzen, dass der Leichenwagen eigentlich nur für Beerdigungen Verwendung finden sollte. Sie hätten zwar einen Transporter, um Leichen aufzunehmen, aber der sei in Reparatur, seit drei Wochen schon – und ob er bitte äußerst vorsichtig mit dem Leichenwagen umgehen könne? Shadow fuhr also vorsichtig. Die Schneepflüge hatten die Straßen inzwischen geräumt, aber die niedrige Geschwindigkeit war ihm trotzdem sehr recht. Es erschien angemessen, in einem Leichenwagen langsam zu fahren; allerdings konnte er sich kaum erinnern, wann er das letzte Mal einen Leichenwagen auf der Straße gesehen hatte. Der Tod ist von den Straßen Amerikas verschwunden, dachte Shadow, er findet heute hauptsächlich in Krankenhauszimmern und

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