American Gods
den Eindruck, der Ire würde ihn schlagen wollen, aber dieser Augenblick verging, und Mad Sweeney stand einfach nur da, und bot wie Oliver Twist die mit Gold gefüllte Mütze mit beiden Händen dar. Auf einmal traten ihm Tränen in die blauen Augen und rannen ihm über die Wangen. Er nahm die Mütze – die jetzt, abgesehen vom schmierigen Schweißband, völlig leer war – und setzte sie wieder auf seinen sich lichtenden Kopf. »Du musst einfach, Alter«, sagte er. »Hab ich dir nicht gezeigt, wie man es macht? Ich hab dir gezeigt, wie man Münzen aus dem Hort nimmt. Ich hab dir gezeigt, wo der Hort ist. Aber gib mir die Münze von neulich zurück. Die gehörte mir nicht.«
»Ich habe sie nicht mehr.«
Mad Sweeneys Tränenfluss versiegte, und auf seinen Wangen erschienen Farbflecke. »Du, du Scheiß …«, sagte er, aber dann fehlten ihm die Worte, er öffnete und schloss nur stumm den Mund.
»Das ist die Wahrheit«, sagte Shadow. »Tut mir Leid. Wenn ich sie hätte, würde ich sie dir ja geben. Aber ich habe sie verschenkt.«
Sweeney klammerte sich mit den dreckigen Händen an Shadows Schultern und starrte ihm mit den blassblauen Augen ins Gesicht. Die Tränen hatten Streifen in die Schmutzschicht von Mad Sweeneys Gesicht gezeichnet. »Scheiße«, sagte er. Shadow roch Tabak, abgestandenes Bier und Whiskeyschweiß. »Du sagst offenbar die Wahrheit, du Scheißer. Hast sie weggegeben, einfach so, aus freiem Willen. Verdammt seien deine dunklen Augen, du hast sie weggeschenkt.«
»Tut mir Leid.« Shadow erinnerte sich an das flüsternde Poltern, mit dem die Münze auf Lauras Sarg gelandet war.
»Ob es dir Leid tut oder nicht, ich bin jetzt am Arsch, verloren und verflucht.« Er wischte sich Nase und Augen mit den Jackenärmeln ab, wobei er seltsame Muster über sein Gesicht schmierte.
Shadow drückte Mad Sweeney in einer verlegenen Männergeste am Oberarm.
»Besser wär’s, ich wäre nie empfangen worden«, sagte Mad Sweeney schließlich. Dann sah er auf. »Der Knabe, dem du sie gegeben hast. Meinst du, der würde sie mir zurückgeben?«
»Es handelt sich um eine Frau. Ich weiß aber nicht, wo sie derzeit ist. Außerdem glaub ich auch nicht, dass sie sie herausrücken würde.«
Sweeney seufzte klagend. »Als ich noch ein ganz junger Hund war«, sagte er, »da habe ich eine Frau kennen gelernt, unter den Sternen, die hat mich mit ihren Möpsen spielen lassen und mir mein Schicksal vorhergesagt. Sie sagte, ich würde westlich des Sonnenuntergangs im Stich gelassen und zugrunde gerichtet werden, und es wäre der Flitter einer toten Frau, der mein Schicksal besiegeln würde. Ich hab aber nur gelacht und mir weiter Gerstenwein eingegossen und noch ein bisschen mit ihren Möpsen gespielt, und geküsst hab ich sie direkt auf ihre hübschen Lippen. Das waren die guten alten Zeiten – die ersten grauen Mönche waren noch nicht in unser Land gekommen, geschweige denn übers grüne Meer nach Westen gefahren. Und nun …« Er brach mitten im Satz ab. Er drehte den Kopf und fasste Shadow ins Auge. »Du solltest ihm nicht trauen«, sagte er vorwurfsvoll.
»Wem?«
»Wednesday. Du darfst ihm nicht trauen.«
»Ich muss ihm nicht trauen. Ich arbeite für ihn.«
»Weißt du noch, wie man es macht?«
»Was denn?« Shadow hatte das Gefühl, er würde sich mit einem halben Dutzend verschiedener Personen unterhalten. Der selbst ernannte Kobold sprudelte und sprang von einer Rolle zur anderen, von einem Gegenstand zum nächsten, als würden die ihm noch verbliebenen Gehirnzellen sich entzünden, entflammen, um dann endgültig zu erlöschen.
»Die Münzen, Mann. Die Münzen. Ich hab dir’s gezeigt, weißt du nicht mehr?« Er hob zwei Finger zum Gesicht, starrte sie an und zog sich dann eine Goldmünze aus dem Mund. Er warf sie Shadow zu, der auch brav die Hand zum Fangen ausstreckte, aber es kam keine Münze bei ihm an.
»Ich war betrunken«, sagte Shadow. »Ich kann mich nicht erinnern.«
Sweeney stolperte über die Straße. Es war jetzt hell, und die Welt lag weiß und grau da. Shadow folgte ihm. Sweeney ging mit langen, sprunghaften Schritten, als wäre er ständig im Begriff zu fallen. Seine Beine fingen ihn jedesmal auf, aber nur, um ihn in den nächsten Stolperschritt zu treiben. Als sie die Brücke erreicht hatten, hielt er sich mit einer Hand an den Backsteinen fest, drehte sich um und sagte: »Hast du ein bisschen Kohle? Ich brauch nicht viel. Nur so viel, dass es für ein Ticket weg von hier reicht. Zwanzig
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