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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Unfallwagen statt. Wir dürfen die Lebenden nicht erschrecken, dachte Shadow. Mr. Ibis hatte ihm erzählt, dass man die Toten in manchen Krankenhäusern auf der unteren Ebene einer scheinbar leeren, aber abgedeckten Bahre transportierte, womit die Verstorbenen also ihre eigenen verborgenen Wege gingen.
    Ein dunkelblauer Streifenwagen parkte in einer Nebenstraße, und Shadow stellte den Leichenwagen dahinter ab. Im Streifenwagen saßen zwei Polizisten und tranken ihren Kaffee aus Thermosflaschendeckeln. Sie hatten den Motor laufen lassen, um im Warmen zu sitzen. Shadow klopfte ans Seitenfenster.
    »Ja?«
    »Ich komme vom Bestattungsinstitut«, sagte Shadow.
    »Wir warten auf den ärztlichen Leichenbeschauer«, sagte der Polizist. Shadow fragte sich, ob es wohl derselbe Polizist war, der ihn unter der Brücke angesprochen hatte. Der Polizist, ein Schwarzer, stieg jetzt ohne seinen Kollegen aus dem Wagen und führte Shadow zu einem Müllcontainer. Mad Sweeney saß neben dem Container im Schnee. Eine leere grüne Flasche lag in seinem Schoß, das Gesicht, die Baseballmütze und die Schultern waren von einer Schnee- und Eisschicht überzogen. Er rührte sich nicht.
    »Toter Säufer«, sagte der Polizist.
    »Sieht so aus«, sagte Shadow.
    »Fassen Sie noch nichts an«, sagte der Polizist. »Der Leichenbeschauer müsste jeden Moment hier sein. Wenn Sie mich fragen, hat der Bursche getrunken, bis er nichts mehr gemerkt hat, und ist dann erfroren.«
    »Ja«, sagte Shadow und nickte. »Den Eindruck muss man haben.«
    Er ging in die Hocke und betrachtete die Flasche in Mad Sweeneys Schoß. Jameson Irish Whiskey, ein Zwanzigdollarticket weg von hier. Ein kleiner grüner Nissan fuhr heran, ein geplagter Mann mittleren Alters, mit rotblondem Haar und einem rotblonden Schnäuzer, entstieg ihm und kam auf sie zu. Er berührte den Hals der Leiche. Er gibt der Leiche einen Tritt, dachte Shadow, und wenn sie nicht zurücktritt …
    »Er ist tot«, sagte der Leichenbeschauer. »Irgendwelche Papiere?«
    »Ein Mister Niemand«, sagte der Polizist.
    Der Leichenbeschauer sah Shadow an. »Sie arbeiten für Jacquel und Ibis?«, fragte er.
    »Ja«, sagte Shadow.
    »Sagen Sie Jacquel, er soll für die Identifikation Zahn- und Fingerabdrücke machen und Fotos schießen. Obduktion brauchen wir nicht. Er soll nur Blut für die Toxikologie abnehmen. Haben Sie das? Soll ich’s Ihnen aufschreiben?«
    »Nein, schon gut«, sagte Shadow. »Das kann ich behalten.«
    Der Mann verzog flüchtig das Gesicht, fischte dann eine Geschäftskarte aus seiner Brieftasche, kritzelte etwas darauf und gab sie Shadow mit den Worten: »Geben Sie das Jacquel.« Dann wünschte der ärztliche Leichenbeschauer allen eine fröhliche Weihnacht und machte sich wieder davon. Die Polizisten nahmen die leere Flasche an sich.
    Shadow quittierte den Mister Niemand und legte ihn auf die Bahre. Die Leiche war ziemlich steif, sodass Shadow sie nicht aus der Sitzhaltung herauskriegen konnte. Beim Hantieren mit der Bahre fand er aber heraus, dass man das eine Ende hochklappen konnte. Er schnallte den sitzenden Mister Niemand an der Bahre fest und schob ihn mit dem Gesicht nach vorn hinten in den Leichenwagen. Sollte er doch wenigstens noch eine schöne Fahrt haben. Er zog die Vorhänge am Heckfenster zu. Dann machte er sich auf den Rückweg zum Bestattungsinstitut.
    Shadow hielt den Leichenwagen gerade an einer Ampel an, als er eine Stimme krächzen hörte: »Ich möchte gefälligst einen anständigen Leichenschmaus, von allem nur das Beste, und schöne Frauen, die Tränen vergießen und sich vor Kummer die Kleider zerreißen, und tapfere Männer, die Klage führen und von mir wunderbare Geschichten aus meiner großen Zeit erzählen.«
    »Du bist tot, Mad Sweeney«, sagte Shadow. »Man nimmt das, was man kriegt, wenn man tot ist.«
    »Aye, das werd ich wohl«, seufzte der tote Mann, der im Heck des Leichenwagens saß. Das Junkie-Gejammer war jetzt aus seiner Stimme verschwunden und wurde durch eine resignierte Eintönigkeit ersetzt; es klang, als würden seine Worte aus sehr großer Entfernung übertragen, tote Worte, gesendet auf einer toten Frequenz.
    Die Ampel sprang auf Grün, und Shadow drückte sanft aufs Gas.
    »Aber bereite mir trotzdem einen Leichenschmaus«, sagte Mad Sweeney. »Deck mir einen Platz bei Tisch, und bereite mir heut Abend einen sturzbesoffenen Leichenschmaus. Du hast mich umgebracht, Shadow. So viel schuldest du mir wenigstens.«
    »Ich hab dich nicht

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