American Gods
auf dem Feld in schwarzen Matsch verwandelten, die hatten mitansehen müssen, wie ihre Freunde und Geliebten verhungerten, und die von einem Land der vollen Mägen träumten. Das Mädchen aus der Bantry Bay träumte besonders von einer Stadt, in der eine junge Frau imstande wäre, so viel Geld zu verdienen, dass sie ihre Familie in die Neue Welt würde nachholen können. Viele der in Amerika eintreffenden Iren hielten sich für Katholiken, selbst wenn sie keine Ahnung vom Katechismus hatten, selbst wenn ihre einzigen religiösen Kenntnisse die Bean Sidhe betrafen, die Banshee, die vor den Mauern der Häuser, in die alsbald der Tod treten würde, zu heulen und zu klagen pflegte, oder auch die heilige Brigitte, die einst Brighid mit den zwei Schwestern war (alle drei waren sie Brigitten, und alle drei waren dieselbe Frau); oder sie kannten die Erzählungen von Finn, von Oisín, von Conan dem Kahlen – sogar von dem kleinen Volk der Leprechauns (und war nicht das der größte Witz der Iren überhaupt, weil die Kobolde zu ihrer Zeit nämlich die Größten unter den Hügelvölkern waren) …
All dies und noch ein bisschen mehr wusste Mr. Ibis an jenem Abend in der Küche zu berichten. Sein Schatten an der Wand war lang gestreckt und ähnelte einem Vogel, und als der Whiskey weiter floss, sah Shadow darin den Kopf eines riesigen Wasservogels mit langem, gebogenem Schnabel, und da geschah es, sie waren gerade beim zweiten Glas, dass Mad Sweeney sich in Mr. Ibis’ Erzählung einschaltete und allerlei Details und Belanglosigkeiten zum Besten gab (»… was ein Mädchen, die Brüste cremefarben und mit Sommersprossen übergossen; die Spitzen von einem satten rötlichen Rosa wie der Sonnenaufgang an einem Tag, wo es vormittags wie aus Kübeln gießt, aber bis zum Abendbrot wieder strahlend schön ist …«), und dann versuchte Sweeney mit Händen und Füßen die Geschichte der Götter in Irland zu erklären, die in zahlreichen Wellen aus Gallien und Spanien und überall hergekommen seien, jede neue Welle habe die Götter der vorigen Welle in Trolle und Feen und was nicht noch für Geschöpfe verwandelt, bis die Heilige Mutter Kirche selbst eingetroffen sei, und da habe sich jeder irische Gott als Fee oder Heiliger oder toter König wiedergefunden, einfach so, mir nichts, dir nichts …
Mr. Ibis putzte seine Goldrandbrille und erklärte unter nachdrücklichem Einsatz seines Zeigefingers – noch deutlicher artikulierend als sonst, woran Shadow erkannte, dass er betrunken war (seine Worte sowie der Schweiß, der sich trotz der Kälte im Haus auf seiner Stirn bildete, waren die einzigen Hinweise darauf) –, dass er ein Künstler sei und seine Erzählungen nicht als literarische Konstrukte anzusehen seien, sondern als fantasievolle Neuschöpfungen, wahrer als die Wirklichkeit, und Mad Sweeney sagte: »Ich zeig dir eine fantasievolle Neuschöpfung, als Erstes wird dir mal meine Faust die Fresse fantasievoll neu gestalten«, worauf Mr. Jacquel die Zähne fletschte und Sweeney anknurrte, ein Knurren wie von einem großen Hund, der nicht unbedingt nach Streit suchte, aber jeden Streit beenden konnte, indem er einem die Kehle zerfleischte, und Sweeney verstand die Botschaft sofort, setzte sich wieder hin und schenkte sich Whiskey nach.
»Hast du behalten, wie ich meinen Münzentrick mache?«, fragte er Shadow grinsend.
»Nein, hab ich nicht.«
»Versuch’s zu raten«, sagte Mad Sweeney, die Lippen purpurrot, die Augen bewölkt. »Ich sag Bescheid, wenn es warm wird.«
»Es hat nichts mit Palmieren zu tun, oder?«, sagte Shadow.
»Hat es nicht.«
»Ist es irgendeine Vorrichtung? Etwas, was du im Ärmel oder sonstwo hast und was dir die Münzen in die Hand schleudert?«
»Auch das ist es nicht. Noch irgendjemand Whiskey?«
»Ich hab in einem Buch gelesen, dass man den ›Traum des Geizhalses‹ bewerkstelligen kann, indem man die Handfläche mit Latex bedeckt, in dem sich ein hautfarbenes Täschchen befindet, wo man die Münzen versteckt.«
»Was für ein trauriger Leichenschmaus für den Großen Sweeney, der wie ein Vogel über ganz Irland geflogen ist und in seinem Wahnsinn Wasserkresse gefressen hat: tot zu sein und nicht betrauert zu werden, außer von einem Vogel, einem Hund und einem Idioten. Nein, es ist kein Täschchen.«
»Tja, das wär’s dann so ziemlich, was mir dazu einfällt«, sagte Shadow. »Ich vermute, du nimmst sie einfach irgendwie aus dem Nichts.« Das war eigentlich ironisch gemeint, aber dann sah er
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