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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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noch etwas anderes: viele, viele Winter, Hunderte und Aberhunderte von Wintern, und einen grauen Mann mit einem breitkrempigen Hut, der von Ansiedlung zu Ansiedlung wanderte und dort, auf seinen Stock gestützt, in die Fenster blickte, aufs Kaminfeuer und auf eine Fröhlichkeit und ein glühendes und blühendes Leben, das er niemals würde berühren oder auch nur nachempfinden können …
    »Gehen Sie«, sagte Wednesday mit einer Stimme, die man als beruhigendes Brummen interpretieren konnte. »Es ist alles gut, heute, morgen und übermorgen.«
    Shadow zeigte der Fahrerin seine Fahrkarte. »Was für ein Tag zum Reisen«, sagte sie und fügte dann, sozusagen mit grimmiger Befriedigung, hinzu: »Fröhliche Weihnachten.«
    Der Bus war fast leer. »Wann werden wir in Lakeside ankommen?«, fragte Shadow.
    »Wir brauchen zwei Stunden. Vielleicht ein bisschen länger«, sagte die Fahrerin. »In der Vorhersage war von einem Kälteeinbruch die Rede.« Sie legte einen Schalter um, worauf sich die Türen zischend und polternd schlossen.
    Shadow wanderte den Mittelgang halb hinunter, stellte dort, wo er Platz nahm, die Rückenlehne so weit zurück, wie es nur ging, und dachte nach. Die Bewegung des Busses in Verbindung mit der hier herrschenden Wärme schläferte ihn ein, und bevor ihm noch so richtig bewusst wurde, dass er müde war, war er auch schon eingeschlafen.
     
    In der Erde und unter der Erde. Die Zeichen an der Wand waren rot wie nasser Lehm: Hand- und Fingerabdrücke, hier und da auch grobe Darstellungen von Tieren und Menschen.
    Das Feuer brannte noch, und der Büffelmann saß wieder auf der anderen Seite des Feuers und starrte Shadow mit riesigen Augen an, Augen wie dunkle Schlammlöcher. Die Bisonlippen, gesäumt von verfilzten braunen Haaren, bewegten sich nicht, als die Bisonstimme sprach: »Nun, Shadow? Glaubst du inzwischen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Shadow. Auch sein Mund hatte sich nicht bewegt, wie er bemerkte. Was an Worten zwischen den beiden hin und her wechselte, wurde nicht gesprochen, jedenfalls nicht auf eine Weise, wie sie Shadows Auffassung von Sprechen entsprach. »Bist du wirklich?«
    »Glaube«, sagte der Büffelmann.
    »Bist du …« Shadow hielt inne, dann stellte er die Frage doch: »Bist du auch ein Gott?«
    Der Büffelmann streckte eine Hand in die Flammen des Feuers und zog ein brennendes Scheit heraus. Er hielt das Scheit in der Mitte umklammert. Blaue und gelbe Flammen züngelten ihm über die rote Hand, verbrannten ihn aber nicht.
    »Das hier ist kein Land für Götter«, sagte der Büffelmann. Aber es war, wie Shadow in seinem Traum erkannte, nicht mehr der Büffelmann, der sprach. Es war das Feuer, es war das Knistern, das Brennen der Flamme selbst, das zu Shadow sprach, dort an dem dunklen Ort unter der Erde.
    »Dieses Land wurde von einem Taucher aus den Tiefen des Meeres emporgetragen«, sagte das Feuer. »Von einer Spinne aus seinem eigenen Stoff gesponnen. Es wurde von einem Raben ausgeschissen. Es ist der Leib eines gefallenen Vaters, dessen Knochen Berge, dessen Augen Seen sind.
    Dies ist das Land der Träume und des Feuers«, sagte die Flamme.
    Der Büffelmann legte das Scheit zurück ins Feuer.
    »Warum erzählst du mir das alles?«, fragte Shadow. »Ich bin nicht wichtig. Ich bin überhaupt nichts. Ich war ein ganz guter Fitnesstrainer, ein echt miserabler Schmalspurganove und ein womöglich nicht so guter Ehemann, wie ich dachte …« Er verstummte.
    »Wie kann ich Laura helfen?«, fragte er den Büffelmann schließlich. »Sie möchte wieder lebendig sein. Ich hab gesagt, dass ich ihr helfen würde. Ich schulde ihr das.«
    Der Büffelmann schwieg. Er zeigte hinauf zur Höhlendecke. Shadow folgte der Bewegung mit dem Blick. Ein dünnes, winterliches Licht drang weit oben durch eine winzige Öffnung.
    »Da oben?«, fragte Shadow, der ganz gern mal eine Antwort auf eine seiner Fragen erhalten hätte. »Ich soll nach da oben gehen?«
    Dann schwemmte ihn der Traum hinweg, die Vorstellung wurde zur Sache selbst, und Shadow rauschte in den Fels und in die Erde. Er war wie ein Maulwurf, der sich durch die Erde zu wühlen versuchte, wie ein Dachs, der durchs Erdreich kletterte, wie ein Murmeltier, das Erde aus dem Weg räumte, wie ein Bär, aber die Erde war zu hart, zu dicht, und so fing er an zu keuchen, bald kam er nicht mehr weiter, konnte nicht mehr weitergraben, nicht mehr klettern, und da wusste er, dass er dort, irgendwo in der Tiefe unterhalb der Welt, sterben

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