American Gods
einer Bö erfasst, keiner ganz schlimmen, aber doch so, dass es ein heftiges Schlingern und Rauf und Runter gab, sodass sich bald der Geruch von Erbrochenem zu den vermischten Gerüchen aus Urin, flüssigen Fäkalien und Angstschweiß gesellte. Aus den in die Decke des Sklavendecks eingelassenen Luftgittern ergoss sich das Regenwasser wie aus Eimern über sie.
Nach einer Woche Reise, längst war kein Land mehr in Sicht, wurden die Sklaven von ihren Ketten befreit. Verbunden freilich mit der Warnung, dass jeglicher Ungehorsam, jeglicher Aufruhr, eine Strafe nach sich ziehen werde, die sie sich in ihren bösesten Träumen nicht ausmalen könnten.
Am Morgen bekamen die Gefangenen Bohnen und Schiffszwieback zu essen und pro Person einen Schluck gegorenen Limonensaft, der so sauer war, dass man das Gesicht verziehen und husten und prusten musste. Einige begannen jedesmal zu stöhnen und zu jammern, wenn der Saft mit Löffeln ausgeteilt wurde. Sie konnten ihn allerdings nicht ausspucken: Wer dabei ertappt wurde, den Saft auszuspucken oder aus dem Mund rinnen zu lassen, der wurde geschlagen oder ausgepeitscht.
Der Abend bescherte ihnen gesalzenes Rindfleisch. Es schmeckte unangenehm, und auf seiner grauen Oberfläche war ein Regenbogenschimmer zu erkennen. So jedenfalls am Anfang der Reise. Im weiteren Verlauf wurde das Fleisch noch schlechter.
Wann immer sie konnten, drängten Wututu und Agasu sich aneinander und sprachen über ihre Mutter, ihr Zuhause und ihre Spielkameraden. Manchmal erzählte Wututu ihrem Bruder die Geschichten, die ihre Mutter ihnen erzählt hatte, etwa die von Elegba, dem durchtriebensten der Götter, der in der Welt Auge und Ohr des Großen Mawu war, der Botschaften an Mawu überbrachte und Mawus Antworten übermittelte.
Um die Eintönigkeit der Überfahrt aufzulockern, ließen sich die Seeleute abends von den Sklaven etwas vorsingen und die Tänze ihrer Heimat vorführen.
Es war ein Glück für Wututu, dass sie zu den Kindern gesteckt worden war. Die Kinder waren zwar eng zusammengepfercht und wurden kaum beachtet, die Frauen aber waren mitunter weniger vom Glück begünstigt. Auf einigen Sklavenschiffen wurden die weiblichen Sklaven regelmäßig vergewaltigt, einfach weil die Mannschaft dies als ein ihr stillschweigend gewährtes Privileg betrachtete. Sie befanden sich hier zwar nicht auf einem solchen Schiff, was aber nicht hieß, dass es überhaupt keine Vergewaltigungen gab.
Auf der Reise starben einhundert Männer, Frauen und Kinder und wurden über Bord geworfen. Einige der Gefangenen, die über Bord geworfen wurden, waren noch nicht ganz tot, aber das grüne Meer kühlte ihr Todesfieber, und sie versanken zappelnd, erstickend, einsam und verloren.
Wututu und Agasu fuhren auf einem holländischen Schiff, was sie aber nicht wussten, es hätte genauso gut ein britisches oder portugiesisches oder spanisches oder französisches sein können.
Die schwarzen Mitglieder der Schiffsbesatzung, deren Haut sogar noch dunkler als Wututus war, wiesen die Gefangenen an, wohin sie zu gehen, was sie zu tun, wann sie zu tanzen hatten. Eines Morgens bemerkte Wututu, dass einer der schwarzen Wächter sie anstarrte. Als sie beim Essen war, kam der Mann auf sie zu und beäugte sie, ohne etwas zu sagen.
»Warum tust du das?«, fragte sie den Mann. »Warum dienst du den weißen Teufeln?«
Er grinste, als wäre diese Frage das Lustigste, was er je gehört hatte. Dann beugte er sich herunter, sodass er mit den Lippen fast ihr Ohr streifte und ihr plötzlich von seinem heißen Atem übel wurde. »Wenn du etwas älter wärst«, sagte er, »würde mein Schwanz dafür sorgen, dass du vor Glück schreist. Vielleicht mache ich es heute Abend. Ich habe gesehen, wie gut du tanzen kannst.«
Sie sah ihn mit ihren nussbraunen Augen an, und dann sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, lächelnd sogar: »Wenn du ihn da unten reinsteckst, werde ich ihn mit den Zähnen, die ich da unten habe, abbeißen. Ich bin ein Hexenmädchen, und ich habe da unten sehr scharfe Zähne.« Es bereitete ihr Vergnügen, wie sein Gesichtsausdruck sich veränderte. Er sagte nichts weiter und entfernte sich.
Die Worte waren aus ihrem Mund gekommen, aber es waren nicht ihre Worte gewesen: Sie hatte sie weder erdacht noch hervorgebracht. Nein, begriff sie, es waren die Worte Elegbas, des Schwindlers, gewesen. Mawu hatte die Welt geschaffen und dann, dank Elegbas Hinterlist, das Interesse daran verloren. Elegba, der Durchtriebene, der mit der
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