American Gods
schwarzen Schlange, zu singen. Er sang für Elegba, für Ogu, Shango, Zaka und viele andere, für all die Götter, die die Gefangenen mit auf die Insel gebracht hatten, heimlich, in ihren Gedanken und in ihren Herzen.
Die Sklaven, die auf die Zuckerplantagen von Saint-Domingue kamen, blieben dort selten länger als zehn Jahre am Leben. Die freie Zeit, die ihnen gewährt wurde – zwei Stunden in der größten Mittagshitze und fünf Stunden in der Dunkelheit der Nacht (von elf bis vier) –, bot ihnen auch die einzige Gelegenheit, das anzubauen, was sie zum Essen brauchten (sie wurden nämlich nicht von ihren Herren verpflegt, sondern bekamen nur kleine Stücke Land zugeteilt, die sie bestellen konnten), und auch die einzige Gelegenheit, zu schlafen und zu träumen. Dennoch nutzten sie diese knappe Zeit, um sich zu versammeln, um zu tanzen, zu singen und ihre Götter anzubeten. Der Boden von Saint-Domingue war ein fruchtbarer Boden, und die Götter aus Dahomey, vom Kongo und vom Niger schlugen dicke und tiefe Wurzeln in ihm, um üppig und hoch hinaus zu wachsen, und sie versprachen Freiheit all denen, die ihnen des Nachts in den Hainen huldigten.
Hyacinth war fünfundzwanzig, als ihn eine Spinne in die rechte Hand biss. Die Wunde entzündete sich, und das Fleisch auf dem Handrücken wurde brandig; binnen kurzem schwoll der ganze Arm an und wurde rot, und die Hand begann zu stinken. Sie pochte und brannte.
Man gab ihm starken Rum zu trinken und erhitzte die Klinge einer Machete im Feuer, bis sie rot und weiß glühte. Mit einer Säge schnitten sie ihm den Arm am Schulteransatz ab und ätzten den Stummel mit der glühenden Klinge. Eine Woche lang lag er im Fieber. Dann kehrte er zur Arbeit zurück.
Der einarmige Sklave namens Hyacinth nahm am Sklavenaufstand von 1791 teil.
Elegba selbst war es, der im Hain von Hyacinth Besitz ergriff, der auf ihm ritt, wie es ein weißer Mann auf einem Pferd tat, und der durch ihn sprach. Hinterher hatte er wenig Erinnerung an das, was gesprochen wurde, aber die anderen Anwesenden erzählten ihm, er habe ihnen Befreiung aus der Gefangenschaft versprochen. Erinnern konnte er sich nur an seine Erektion, hart wie ein Prügel und schmerzhaft, und daran, dass er beide Hände – die, die er besaß, und die, die er nicht mehr besaß – zum Mond emporgehoben hatte.
Ein Schwein wurde getötet, und die Männer und Frauen der Plantage tranken das heiße Schweineblut als Zeichen des Bundes, zu dem sie sich verschworen. Sie gelobten, eine Armee der Freiheit zu bilden, und verpflichteten sich erneut den Göttern aller Länder, aus denen sie als Beute verschleppt worden waren.
»Wenn wir im Kampf gegen die Weißen sterben«, versicherten sie einander, »werden wir in Afrika wieder geboren werden, in unserer Heimat, bei unseren Stämmen.«
Da noch ein anderer Hyacinth an dem Aufstand beteiligt war, gab man Agasu den Namen Großer Einarm. Er kämpfte, er betete, er opferte, er plante. Er sah, wie seine Freunde und seine Geliebten getötet wurden, aber er kämpfte weiter.
Zwölf Jahre lang kämpften sie, es war ein blutiger, zum Wahnsinn treibender Krieg mit den Plantagenbesitzern und den aus Frankreich herbeigerufenen Truppen. Sie fochten ihn aus, sie kämpften, bis das Unmögliche wahr wurde: Sie siegten.
Am 1. Januar 1804 erklärte die Insel Saint-Domingue, bald in aller Welt als Republik Haiti bekannt, sich für unabhängig. Großer Einarm erlebte es nicht mehr. Er war im August 1802 gestorben, aufgespießt vom Bajonett eines französischen Soldaten.
Exakt im Augenblick des Todes von Großer Einarm (der einst Hyacinth und davor Inky Jack genannt worden war und der in seinem Herzen für immer Agasu hieß) fühlte seine Schwester, die er als Wututu gekannt hatte, die auf ihrer ersten Plantage in den Carolinas Mary genannt worden war, dann Daisy, als sie Haussklavin wurde, und schließlich Sukey, als man sie an die Familie Lavere nach New Orleans weiter unten am Fluss verkaufte, seine Schwester also fühlte das kalte Bajonett zwischen ihre Rippen gleiten und begann zu schreien und hemmungslos zu weinen. Ihre Zwillingstöchter erwachten und jammerten. Sie waren milchkaffeefarben, diese neuen Babys, anders als die schwarzen Kinder, die sie geboren hatte, als sie noch, kaum selbst der Kindheit entwachsen, auf der Plantage gearbeitet hatte – Kinder, die sie nicht mehr zu Gesicht bekam, seit diese fünfzehn und zwölf Jahre alt gewesen waren. Das mittlere Mädchen war schon ein Jahr tot, als
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