American Gods
Lächeln machte dann auch Wututu glücklich. Jetzt lächelte er nicht. Stattdessen strengte er sich an, mit zurückgeworfenem Kopf und durchgedrückten Schultern vor seiner Schwester Tapferkeit zu zeigen, und wirkte dabei so stolz, so bedrohlich, so komisch wie ein kleiner Hund mit gesträubtem Fell. Der Mann, der in der Reihe hinter Wututu ging und dessen Wangen voller Narben waren, sagte: »Sie werden uns an die weißen Teufel verkaufen, die uns in ihre Heimat auf der anderen Seite des Wassers bringen werden.«
»Und was werden sie dort mit uns tun?«, wollte Wututu wissen.
Der Mann antwortete nichts darauf.
»Und?«, sagte Wututu. Agasu warf einen verstohlenen Blick über die Schulter. Beim Marschieren durften sie weder sprechen noch singen.
»Es ist möglich, dass sie uns essen«, sagte der Mann. »Das habe ich jedenfalls gehört. Deswegen brauchen sie so viele Sklaven. Weil sie immerzu hungrig sind.«
Während sie weitergingen, fing Wututu zu weinen an. »Weine nicht, meine Schwester«, sagte Agasu. »Sie werden dich nicht essen. Ich beschütze dich. Unsere Götter werden dich beschützen.«
Wututu aber weinte weiter, das Herz wurde ihr beim Gehen schwer, und sie fühlte Schmerz und Wut und Furcht, wie nur ein Kind dergleichen fühlen konnte: unverfälscht und überwältigend. Sie war nicht fähig, Agasu zu sagen, dass sie sich keine Sorgen darüber machte, von den weißen Teufeln gefressen zu werden. Sie würde überleben, dessen war sie gewiss. Sie weinte, weil sie Angst hatte, dass man ihren Bruder verspeisen würde, und sie war sich nicht sicher, ob sie ihn ihrerseits beschützen konnte.
Sie erreichten einen Handelsposten, wo sie zehn Tage lang verweilen mussten. Am Morgen des zehnten Tages wurden sie aus der Hütte geholt, in der man sie gefangen hielt (sie war zuletzt sehr voll geworden, da von weither andere Männer mit ihren Sklavenzügen eingetroffen waren). Sie wurden zum Hafen geführt, und Wututu erblickte das Schiff, das sie mit fortnehmen sollte.
Ihr erster Gedanke war, dass es sich um ein gewaltig großes Schiff handelte, ihr zweiter, dass es dennoch zu klein war, um ihnen allen Platz zu bieten. Es lag leicht auf dem Wasser. Das Beiboot fuhr hin und her, um alle Gefangenen aufs Schiff zu schaffen, wo sie von Matrosen in Ketten gelegt und auf niedrige Decks verteilt wurden, Matrosen, die zum Teil ziegelrot oder braunhäutig waren und seltsam spitze Nasen und Bärte besaßen, mit denen sie wie Tiere aussahen. Einige davon aber sahen genauso aus wie ihr eigenes Volk, wie die Männer, die sie zur Küste gebracht hatten. Männer und Frauen und Kinder wurden unter Zwang getrennt und in verschiedene Abschnitte des Sklavendecks geschafft. Es waren zu viele Sklaven, als dass sie hätten bequem untergebracht werden können, daher wurde ein Dutzend Männer auf dem offenen Deck angekettet, unterhalb der Bereiche, wo die Mannschaft ihre Hängematten anbrachte.
Wututu wurde zu den Kindern gesteckt, nicht zu den Frauen; und sie lag nicht in Ketten, sondern wurde nur eingeschlossen. Agasu, ihr Bruder, wurde zu den Männern geworfen, die, in Ketten gelegt, wie die Heringe aneinander gedrängt waren. Es stank auf dem Deck, obwohl die Mannschaft es nach dem Löschen der letzten Fracht abgeschrubbt hatte. Es war ein Gestank, der in das Holz eingezogen war: der Geruch von Angst und Gallenflüssigkeit, von Durchfall und Tod, von Fieber, Wahnsinn und Hass. Wututu hockte mit den anderen Kindern im heißen Verschlag. Sie spürte den Schweiß der neben ihr Sitzenden. Ein kleiner Junge wurde von einer Welle so aus dem Gleichgewicht gebracht, dass er heftig gegen Wututu purzelte; er entschuldigte sich in einer Sprache, die sie nicht kannte. Im Halbdunkel lächelte sie ihm zaghaft zu.
Das Schiff setzte Segel. Jetzt lag es schwer im Wasser.
Wututu machte sich Gedanken über das Land, aus dem die weißen Männer kamen (obwohl keiner von ihnen wirklich weiß war: Vom Meer und von der Sonne verbrannt waren sie, und ihre Haut war dunkel). Waren die Nahrungsmittel dort so knapp, dass sie Leute so weit, ganz bis zu ihrem Land, ausschicken mussten, um sich Menschen zum Essen kommen zu lassen? Oder galten sie, die Gefangenen, vielleicht als besondere Köstlichkeit, als eine rare Delikatesse für ein Volk, das schon so viel probiert und gekostet hatte, dass nur noch schwarzhäutiges Fleisch im Kochtopf imstande war, ihnen das Wasser im Munde zusammenlaufen zu lassen?
Am zweiten Tag nach dem Auslaufen wurde das Schiff von
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