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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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…« Gerade wollte er »das Alka-Seltzer-Mädchen« sagen, biss sich aber auf die Zunge und sagte stattdessen: »Sie sind Alisons Freundin. Aus dem Bus. Ich hoffe sehr, dass alles gut wird.«
    Sie nickte schniefend. »Ich auch.« Sie schneuzte sich energisch in ein Papiertuch, das sie sich anschließend in den Ärmel schob.
    Auf ihrer Plakette stand: HI! ICH BIN SOPHIE! FRAGEN SIE MICH, WIE SIE IN 30 TAGEN 10 KILO ABNEHMEN KÖNNEN!
    »Ich habe heute den ganzen Tag nach ihr gesucht. Bisher haben wir noch kein Glück gehabt.«
    Sophie nickte und blinzelte gegen die Tränen an. Sie schwenkte die Milchtüte vor einem Abtastgerät, das daraufhin zwitschernd den Preis bekannt gab. Shadow reichte ihr zwei Dollar.
    »Ich geh weg aus dieser Scheißstadt«, sagte das Mädchen mit erstickter, aber heftiger Stimme. »Ich werde bei meiner Mutter in Ashland wohnen. Jetzt ist Alison weg. Sandy Olsen ist letztes Jahr verschwunden. Jo Ming im Jahr davor. Vielleicht erwischt es mich ja nächstes Jahr?«
    »Ich dachte, Sandy Olsen wurde von seinem Vater mitgenommen.«
    »Ja«, sagte das Mädchen mit bitterer Stimme. »Aber sicher. Und Jo Ming ist nach Kalifornien ausgewandert, und Sarah Lindquist hat sich beim Wandern verirrt und wurde nie wieder gefunden. Ist ja egal. Ich will jedenfalls nach Ashland.«
    Sie atmete tief ein und hielt für einen Moment die Luft an. Auf einmal, ganz unerwartet, lächelte sie ihm zu. Es lag nichts Unaufrichtiges in diesem Lächeln. Wahrscheinlich war es nur so, dass sie dazu angehalten war, die Kunden anzulächeln, wenn sie ihnen das Wechselgeld gab. Sie wünschte ihm noch einen schönen Tag. Dann wandte sie sich der Frau mit dem vollen Einkaufswagen hinter ihm zu und langte nach den Waren, um sie einzuscannen.
    Shadow nahm die Milch und fuhr weiter, an der Tankstelle vorbei, vorbei auch an der Rostlaube auf dem Eis, und schließlich über die Brücke bis nach Hause.

ankunft in amerika
     
     
    1778
     
    Es war einmal ein Mädchen, das wurde von seinem Onkel verkauft, schrieb Mr. Ibis in seiner gestochenen Handschrift.
    Soweit die Geschichte, alles andere sind Einzelheiten.
    Es gibt Berichte, die uns, öffneten wir ihnen unser Herz, allzu sehr verstören würden. Denn siehe – nehmen wir zum Beispiel diesen Mann, einen guten Mann, gut nach seinen eigenen Maßstäben und denen seiner Freunde: Er ist treu und wahrhaftig gegenüber seiner Frau, er betet seine Kinder an und überschüttet sie mit Aufmerksamkeiten, sein Land liegt ihm am Herzen, er tut seine Arbeit peinlich korrekt und so gut er kann. Und so, tüchtig und gutmütig, wie er ist, vernichtet er Juden: Er schätzt die Musik, die zu ihrer Besänftigung im Hintergrund spielt; er ermahnt die Juden, bevor sie in die Duschen gehen, nicht ihre Erkennungsnummern zu vergessen – viele Leute, erklärt er, vergessen ihre Nummern und geraten dann nach dem Duschen an die falsche Kleidung. Das beruhigt die Juden. Es wird, versichern sie einander, ein Leben nach dem Duschen geben. Unser Mann beaufsichtigt das Kommando, das die Leichen zu den Öfen bringt; und sofern es überhaupt etwas gibt, was ihm Unbehagen bereitet, so ist es die Tatsache, dass das Vergasen dieses Ungeziefers ihn noch immer belastet. Wäre er ein wahrhaft guter Mensch, würde er nichts als Freude darüber empfinden, dass die Erde von dieser Pest befreit wird.
    Es war einmal ein Mädchen, das wurde von seinem Onkel verkauft. So formuliert, erscheint der Fall ganz simpel.
    Niemand , erklärte Donne, ist eine Insel , aber er hatte Unrecht. Wären wir keine Inseln, wir verlören uns, ertränken in den Tragödien der Mitmenschen. Wir sind isoliert (ein Wort, man erinnere sich, das wörtlich bedeutet: zu einer Insel gemacht werden) vom Unglück der anderen, vermöge unserer Inselnatur und infolge der immergleichen Gestalt der Geschichten. Die Form ändert sich nicht: Es war einmal ein Mensch, der wurde geboren, lebte, und aus dem einen oder anderen Grunde starb er schließlich. Bitte schön. Die Einzelheiten möge man aus der eigenen Anschauung ergänzen. So wenig originell wie nur je eine Geschichte, so einzigartig wie nur je ein Leben. Das Leben ist eine Schneeflocke – es bildet Muster, die wir kennen, die einander so gleichen wie die Erbsen in ihrer Hülse (und haben Sie sich schon mal Erbsen in der Hülse angesehen? Ich meine, richtig angesehen ?) und dennoch einzigartig sind.
    Ohne das Individuelle sehen wir nur Zahlen: eintausend Tote, hunderttausend Tote, »bis zu einer Million Tote

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